Hauptsache, es knallt!
dieser Teil auch schreit, er kann den übrigen Teil nicht davon abhalten, kühl weiterzudenken.
Wie alt war Sinja noch mal? Und was bedeutet es, wenn man auf seiner Hochzeit nicht nur mit einer anderen Frau schläft, sondern auch mit einer, die noch nicht volljährig ist, aber dank Brautstrauß fest davon überzeugt, dass sie heute noch ihre Unschuld verliert …
Zum Glück klinkt sich nun auch der Rest meines Hirns aus und stimmt mit in das hysterische Geschrei ein, was mir für einen kurzen Moment sehr guttut. Ich sehe die Gesichter der anderen. Sie wissen nicht, was ich weiß, aber auch in ihren Köpfen scheinen die Gehirne hysterisch herumzuschreien. Das erkennt man daran, dass sie nach außen ganz still und starr sind und man eine Stecknadel, noch bevor sie auf den Boden fällt, in der Luft pfeifen hören könnte. Markus ist auf dem nächstbesten Stuhl zusammengesunken und hat die Hände vor das Gesicht geschlagen. Janina steht neben mir und hat beide Hände auf den Mund gedrückt. Dahinter höre ich sie stoßweise japsen und stöhnen. Ich schiebe ihr einen Stuhl hin und bringe sie dazu, sich zu setzen. Die Arme. Sie ahnt noch nicht einmal, wie schlimm die Wahrheit in Wirklichkeit ist.
Wie schlimm? … Ein kleiner, sehr renitenter Teil meines Hirns arbeitet immer noch … Wenn Markus … Nein! … Wenn Markus, dieser Baum von einem Mann, richtig in Wallung war … mit etlichen Wodka in der Blutbahn … und der festen Überzeugung im Kopf, dass er vor seinem Hochzeitsbett steht … und darin die Frau im Brautkleid … nur vom schummerigen Nachtischlampenlicht beleuchtet, so verführerisch wie noch nie … Oh Gott, es ist alles noch viel schlimmer!
Ich höre mich laut »Scheiße!« schreien, während ich mit Mach 3 zur Tür renne. Und in Anbetracht der Tatsache, dass Sinja vielleicht gerade durch eine ganz blöde Fügung von Markus vergewaltigt wurde, ist »Scheiße!« ausnahmsweise völlig legitim. Aber dass das so lange nachhallt? Oder hat gerade noch jemand »Scheiße« geschrien? Egal.
Ich renne.
Es knallt.
Ich rannte.
Ich sitze auf dem Boden.
Neben mir sitzt eine Frau.
Halb nackt, halb mit einem Brautkleid bekleidet.
Und sie kriegt gerade eine etwa genauso große Beule wie ich.
Und sie schreit.
»Scheiße! Du Arsch! Ich dachte, du wärst René!«
Und sie meint Markus.
Und es ist nicht Sinja, die hier neben mir auf dem Boden sitzt und schreit, sondern die betrunkene entführte Braut, die ich schon wieder vergessen hatte. Klar, sie wartete die ganze Zeit in ihrem Zimmer auf ihren René, der erst zu dämlich war, den Entführungsort herauszufinden, und dann kam der Gewittersturm. Und so doof das Ganze auch für sie und Markus und Janina und natürlich auch für René sein mag, ich bin jetzt doch ein wenig erleichtert. Ich durchlebe ein paar richtig schöne Momente. Aus der Traufe in den leichten Nieselregen sozusagen. Eins muss man Frau von Weckenpitz lassen, denke ich mir. Sie hat von allen Zimmernummern-Verwechselungsoptionen nur die zweitschlimmste gewählt.
Erst als die drei betrunkenen Freunde von René in der Tür auftauchen, die seine Braut entführt haben und während der Entführungsphase quasi die Verantwortung für sie tragen, ist es wieder vorbei mit der Entspannung. Ich dachte zwar, wir hätten jetzt wirklich alles Denkbare und Undenkbare durch, was auf einer Hochzeit passieren kann, aber klar, eine zünftige Massenschlägerei zum Schluss darf natürlich nicht fehlen, wenn man wirklich das volle Programm haben will. Und auf einmal wünsche ich mir, Wiese und Schnitzki wären wieder hier. Die beiden wären wenigstens ein gutes Argument für die Typen in der Tür gewesen, einfach wieder zu verschwinden. Aber ich werde auch ohne Wiese und Schnitzki nicht zulassen, dass sie auf Markus losgehen. Auge hin, Rippe her, als guter Freund muss man in solchen Situationen dazwischengehen. Kann man nur beten, dass die Kerle nicht zu harte Muskeln unter ihren Anzügen verstecken.
In der vagen Hoffnung, dass sich gleich ein ganzes Rudel von Markus-Verteidigern an meine Seite begibt, rapple ich mich auf und stelle mich mitten auf die Frontlinie Markus – Brautentführer. Aber die Entführer rühren sich immer noch nicht von der Stelle. Sie starren weiter von der halbnackten Braut mit der Beule, die neben mir auf dem Boden sitzt, zu Markus, der inzwischen zu schluchzen angefangen hat, und zurück.
»Es war gar nicht René!«
»Näää, das gibts nicht! Es war gar nicht René!«
Und
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