Hauptsache, es knallt!
hört auf Füllkrugs Kommando. Sie holen ihre Schlüssel raus und schlüpfen wieselflink in ihre Autos, egal, wie betrunken sie sind. Sogar Frau von Weckenpitz lässt Herrn Unzicker den alten Mercedes aus der Garage holen.
Aber meine Rettungsarchenpiloten sind zum Glück auf Zack. Namida Ziegler handelt als Erste. Arche eins alias Hippiegolf prescht aus der Parklücke, dass uns der Kies nur so um die Ohren fliegt. Arche zwei, der Hochzeitsporsche samt Anhänger, folgt dem Beispiel. Margitta Mitscherlich rangiert das Gespann so souverän durch die enge Gasse, als hätte es nie Bücher mit »Warum Frauen schlecht einparken« im Titel gegeben. Und im gleichen Moment startet im hinteren Teil des Parkplatzes auch Rettungsarche drei, Sveas alter Audi mit Torsten Mitscherlich am Steuer.
»Tim! Schnell hier rein!«
Ohne lange nachzudenken, stecke ich das Schwert in meinen Pfeilköcher und hechte durch die geöffnete Tür in den Blumengolf. Namida Ziegler hetzt das Gefährt mit heulendem Motor in Richtung Ausfahrt. Hinter uns tritt Margitta Mitscherlich das Porsche-Gaspedal dermaßen durch, dass die Antischlupfregelung vor Schreck in Ohnmacht fällt. Und ich sehe durch die Heckscheibe, dass Sveas Audi direkt hinter dem Anhänger klebt. Haben wir es etwa geschafft?
Nein. So perfekt der Blitzstart der drei Archen auch gelungen ist, es war umsonst. Hinter dem Audi fädeln sich bereits die ersten Wagen aus Füllkrugs Spaßkolonne ein. Alles neuere Modelle aus der soliden Mittelklasse. Wir können ihnen nicht entkommen.
Ich lasse meinen Kopf sinken, während wir die Toreinfahrt passieren. Jetzt erst merke ich, dass ich auf Janinas und Markus’ Schoß liege. Wenn ich nun einfach aussteige und mich Füllkrugs Konvoi des Todes in den Weg werfe? Vielleicht könnte ich sie lange genug aufhalten, dass die anderen doch noch fliehen können? Einen Versuch wäre es wert.
Doch dann. Fiese Geräusche hinter uns. Ein Motor heult in Todespein auf, und Reifen schrappen über den Kies. Ich ziehe mich an Roberts Schultern hoch und starre durch die Heckscheibe. Sveas Audi schleudert über den Parkplatzkies, als säße Walter Röhrl am Steuer. Schlamm und Steine spritzen hoch. Und so fies die Geräusche auch sein mögen, der Schleuderkurs, den der Wagen hinlegt, ist genial. Elegant, fast wie ein Tanz. Wie von einer unsichtbaren gütigen Hand gesteuert, dreht sich der alte Gaul ein paarmal um sich selbst und zwingt die Autos hinter sich zu bremsen. Und dann der krönende Abschluss: Die Schleuderfahrt endet exakt in der Ausfahrt. Der Wagen steht quer. Zwischen die Stoßstangen und die mächtigen steinernen Torpfeiler passt kaum noch ein Blatt. Es ist, als wäre Sveas Wagen vor zwanzig Jahren eigens dafür gebaut worden, am 21.7.2012 kurz nach Einbruch der Dunkelheit die Ausfahrt von Schloss Walchenau zu blockieren. Markus’ Vater ist ein Held.
Aus den beiden der Straße zugewandten Türen des Audis quellen Henriette, Svea und Bülent hervor. Blumengolf und Porsche werden von Namida und Margitta auf Schritttempo gedrosselt. Die drei Audi-Flüchtlinge springen zu den Russen in den Anhänger. So weit, so gut. Aber was macht Torsten Mitscherlich? … Da steht er ja. Mist! Er ist auf der Schlossseite ausgestiegen. Hat der Kerl den Verstand verloren? Er schaut seinem alten Freund Füllkrug in die Augen, der ebenfalls aus seinem Auto ausgestiegen ist und auf ihn zukommt. Ich höre seine Stimme.
»Da stehen wir aber akkurat em Halteverbot, Torsten.«
»Ach komm, Diethart, wir gehen zurück. Die fahren nur kurz in den Wald. Was wollen wir da?«
»Na gut, wenn dä Torsten dat sagt, dann ist dat so, Kinder.«
Warum tut Herr Mitscherlich das? Warum lässt er die Irren nicht allein? Ich sehe, wie die Leute aus den anderen Autos wieder aussteigen. Ich sehe, wie sich die Schlange des Todes neu formiert. Und ich sehe, wie Markus’ Vater sich einreiht. Füllkrug, Otti und Frau von Weckenpitz zählen vor.
»Zwo, drei, vier.«
»Herr Mitscherlich! Nein!«
Das war Henriette. Auch die anderen strecken ihre Köpfe aus den Fenstern.
»Das muss doch nicht sein!«
»Kommen Sie!«
»Sie können es noch schaffen!«
Zwecklos. Er ist wild entschlossen, sich zu opfern. Ist es das schlechte Gewissen? Weil er Füllkrug eingeladen hat? Oder weil er den Pfarrer gewürgt hat? Er schaut ein letztes Mal zu uns herüber und macht ein filmreifes »Lasst mich hier liegen«-Gesicht. »Lieschen, Lieschen« wird angestimmt, und die Schlange marschiert im Takt los.
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