Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hauptsache Hochzeit

Hauptsache Hochzeit

Titel: Hauptsache Hochzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Townley Gemma
Vom Netzwerk:
»O Gott, ich hätte es wissen müssen. Ich bin so blöd. Ach, du meine Güte.«
    Ich hatte nicht die Absicht, ihr zu widersprechen, sondern starrte sie nur an und wartete auf eine Erklärung. Stattdessen streckte sie jedoch wieder die Hand aus und berührte mein Gesicht. Diesmal wich ich nicht zurück, obwohl ich mir das selbst nicht erklären konnte. Es lag wohl daran, dass sie selbst mit den Tränen kämpfte. Dann blickte sie mich eindringlich an, und ich wappnete mich innerlich. Ich wusste zwar nicht, was sie mir gleich sagen würde, aber ich nahm nicht an, dass es etwas Gutes sein würde.
    »Ja, wer sind Sie denn dann?«, hörte ich mich schließlich mit trotzigem Unterton sagen.
    »Ich bin deine Mutter, Jess.«
    In diesem Moment kam Helen herein, ein Tablett mit Teebechern und Keksen balancierend – das sie bei diesen Worten prompt fallen ließ.

    »Sie sind – Jess’ Mutter?«, fragte sie fassungslos.
    Ich zitterte am ganzen Körper und schaffte es gerade noch, den Kopf zu schütteln. »Ich habe keine Mutter mehr«, krächzte ich. »Sie ist gestorben. Als ich ein Kind war. Ich habe keine Mutter mehr.«
    »Sie ist nicht gestorben«, sagte Esther so leise, dass ich sie kaum verstand. »Ich bin nicht gestorben, Jess. Ich war immer am Leben, all die Jahre. O Jess, kannst du mir jemals verzeihen?«
    »Nein«, gab ich zur Antwort.
    »Nein?« Esther sah mich verstört an. »Du kannst mir nicht verzeihen?«
    »Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Das kann doch alles gar nicht sein. Nein, Sie sind garantiert nicht meine Mutter. Ich kann mir diesen Unsinn nicht länger anhören.«
    Ich drehte mich um, ging an Helen vorbei und kickte dabei versehentlich einen Teebecher an die Wand. Ich hörte, wie Esther meinen Namen rief, aber ich stellte mich taub. Sie war eine Lügnerin. Sie war ein dreistes, hinterhältiges, fieses Biest, das anderen Frauen den Mann ausspannte …
    »Es war die Idee deiner Großmutter. Der Autounfall, meine ich. Sie meinte, du seist ohne mich besser dran. Sie hat mir gedroht, das Jugendamt zu holen.«
    Ich fuhr herum; Esther stand direkt hinter mir. Jetzt strömten ihr Tränen übers Gesicht, und ich hatte plötzlich einen riesigen Kloß im Hals. Ein paar Sekunden lang starrte ich sie wortlos an, weil ich nicht zu sprechen wagte.
    »Sie hat den Autounfall erfunden?«
    Esther nickte. »Wir beide zusammen. Ich wollte dich nicht verlassen … aber sie meinte, sie würde sich besser
um dich kümmern. Und ich wollte so oft zurückkommen, aber …«
    »Aber was?«, flüsterte ich.
    »Es ging nicht mehr. Es war zu spät.« Jetzt zerfiel sie vor meinen Augen wie die böse Hexe des Nordens in »Der Zauberer von Oz«, als man sie mit einem Eimer Wasser überschüttet. Esthers Make-up zerrann, und ihre Haare sahen zerrauft aus, weil sie nervös daran zupfte. In dem schmalen Flur von Helens Wohnung lehnte sie nun an der Wand und sah mich an, mit einer Mischung aus Hoffnung und Verzweiflung in den tränenüberströmten Augen. Ich kannte diesen Ausdruck. Ich hatte ihn so oft gesehen, wenn ich in den Spiegel blickte. In diesem Moment begriff ich, dass ich tatsächlich meiner Mutter gegenüberstand.
     
    Es stellte sich dann heraus, dass Tee alleine nicht ausreichte, damit ich mich beruhigte, weshalb Helen für mich und sich selbst ihre spezielle Alkohol-Tee-Mischung braute (die Honig, Whisky, Tee und diverse andere Zutaten enthielt, über die ich lieber nicht Bescheid wissen wollte); meine Mutter blickte zwar verlangend auf das Gebräu, sagte aber, sie gehöre den Anonymen Alkoholikern an, habe seit Jahren keinen Tropfen mehr angerührt und wolle lieber einen Pfefferminztee. Nachdem Helen alle mit Getränken versorgt hatte, zog sie sich in ihr Zimmer zurück, und meine Mutter und ich wanderten ins Wohnzimmer, ließen uns nieder und warteten jeweils darauf, dass die andere das Wort ergriff. Ich tat das jedenfalls. Nicht dass ich keinen Gesprächsstoff gehabt hätte – ich hatte Millionen davon auf Lager, ein ganzes Leben voller Fragen. Ich wusste nur nicht, welche ich zuerst
stellen sollte. Man findet ja nicht alle Tage heraus, dass die tot geglaubte Mutter quicklebendig ist und einen Chignon trägt. Man merkt auch nicht alle Tage, dass man sein gesamtes Leben mit einer Lüge zugebracht hat.
    »Wieso bist du nicht zurückgekommen?«, platzte ich schließlich heraus, als mir klar wurde, dass sie nicht zuerst sprechen würde – offenbar wusste ich also sehr wohl, welche Frage ich zuerst stellen wollte.
    Meine

Weitere Kostenlose Bücher