Hauptsache Hochzeit
Show. Gestern haben wir dieses Paar gefilmt, das demnächst seinen zehnten Hochzeitstag hat. Die beiden waren bis vor kurzem extrem übergewichtig, wollten aber die Kleider wieder anziehen können, in denen sie geheiratet hatten. Deshalb haben sie eine heftige Diät durchgezogen – beide haben an die siebzig Pfund verloren und sahen super aus. Nur hat sich gestern leider rausgestellt, dass sie ohne das gemeinsame Essensthema eigentlich nichts mehr haben, was sie verbindet. Zuerst fingen sie an zu streiten, dann verkündete
die Frau, dass sie jemand anderen kennen gelernt hat, und zuletzt haben sie sich getrennt!«
»Ach herrje, wie furchtbar«, sagte ich.
»Stimmt«, meinte Helen und verdrehte die Augen. »Ich meine, in der Show soll es darum gehen, dass Leute ihr Leben verändern und ihre selbstgesetzten Ziele erreichen. Wir waren am Ende mit unserem Latein; es war ein echter Albtraum. Die schienen sich keinerlei Gedanken darüber zu machen, was wir eigentlich vermitteln wollen.«
»Hört sich so an«, sinnierte ich. »Aber für die beiden muss es ja auch schlimm gewesen sein.«
»Klar. Aber es war immerhin ihre eigene Entscheidung.«
»Und was ist dann passiert?«, fragte ich.
»Tja.« Helen grinste. »Ich hab mit dem Regisseur gesprochen, und wir hatten plötzlich beide das Gefühl, dass die Trennung eigentlich viel spannender war als irgendeine Ende-gut-alles-gut-Geschichte. Glück ist ja im Grunde ziemlich langweilig, oder?«
»Meinst du?«
»Auf jeden Fall. Und jetzt haben wir die Show umbenannt und sind startklar für was Neues!«, verkündete Helen enthusiastisch.
»Startklarr?« Wir schauten auf und erblickten Ivana, die vor uns stand. »Wofirr?«
»Ach nichts, nur was von der Arbeit.« Helen grinste, sprang auf und küsste Ivana auf die Wange. »Wie geht’s?«
Ivana zog die Augenbrauen hoch und setzte sich. »Bin midde«, sagte sie. »Ist noch frrih, oderr?«
Wir schauten auf die Uhr. Es war halb elf. »Also, so früh nun auch wieder nicht«, sagte ich.
Ivana blickte mich erbost an. »Ist aberr frih, wenn du gearrbeitet bis fünf Urr morrgen«, sagte sie und holte ihre Zigaretten heraus. Eine junge Frau in einem weißen Kittel kam sofort herbeigelaufen und lächelte Ivana an.
»Es gehört zu unseren Geschäftsbedingungen, dass in den Räumen nicht geraucht wird«, sagte sie mit sanfter Stimme.
»Und wenn ich wass dageggen hab?«, fragte Ivana.
Die Frau sah ziemlich indigniert aus. »Das ist hier nun mal so üblich«, sagte sie entschuldigend. »Sie können natürlich draußen rauchen. Aber wir legen eigentlich Wert darauf, dass unsere Kunden diesen Tag hier als ganzheitlichen entgiftenden Prozess begreifen, in dem sie …«
»Und ich legge Werrt, dass meine Kunden sind gross, dunkelharrig und gutaussehend«, versetzte Ivana sarkastisch. »Auch wenn sie gar nicht sintt.«
Sie warf den Kopf zurück, schnappte sich ihre Handtasche und warf uns einen aufgebrachten Blick zu. »Bis spetterr«, sagte sie und stürmte hinaus.
»Mach dir keine Gedanken«, äußerte Helen und lächelte mich an. »Sie hat sich wieder mit Sean gestritten. Er will ein Kind mit ihr haben.«
»Ein Kind?« Ich starrte Helen fassungslos an und musste unvermittelt kichern. Vor meinem geistigen Auge sah ich Ivana in ihrer Standardaufmachung mit schwarzem Lidstrich und Stilettos, wie sie sich über eine Wiege beugte … nein, dazu würde es nie kommen. Das war undenkbar.
»Ich weiß.« Helen grinste breit. »Mama Ivana. Kannst du dir das vorstellen?« Sie schnaubte, und ich brach in Gelächter aus.
»Tut mir leid«, sagte ich dann kopfschüttelnd. »Bestimmt
wäre sie eine wunderbare … es ist nur … au weia, es ist einfach unheimlich komisch. Und, was hat sie zu Sean gesagt?«
»Dass sie sich auf ihre Karriere konzentrieren wolle«, antwortete Helen, um eine ernste Miene bemüht. »Sie meinte, auf Schwangere würden die Typen in den Clubs nicht unbedingt abfahren.«
»Aber vielleicht wünscht Sean sich das wirklich«, gab ich zu bedenken. »Ich meine, er kann ihren Job nicht leiden.«
Helen nickte wissend. »Aber das gilt nicht für Ivana.«
»Ah, da seid ihr ja!« Ich schaute auf. Meine Mutter war eingetroffen, mit ihrem üblichen Chignon, knallroten Lippen und einem eng gegürteten Regenmantel mit Pelzkragen. »Helen, wie schön, dich wiederzusehen.«
Helen stand auf. »Esther! Uuh, Wahnsinnstasche!«
Meine Mutter lächelte und blickte auf ihre Hermès Birkin. Vor einigen Monaten hätte ich noch keine Ahnung
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