Haus der Jugend (German Edition)
benötigen.«
Auf dem Bett lag sein Rucksack noch geöffnet. Kleidungsstücke lagen verteilt. Auf dem Tisch befanden sich ein paar Dosensuppen, ein Brot, zwei Marmeladengläser, eine Mettwurst, ein Stück Schinken, Butter.
»Es ist gut, dass du gekommen bist«, sagte Darius. »So können wir das auf beide Rucksäcke verteilen.«
Ich setzte meinen Rucksack ab, öffnete ihn und steckte, was noch Platz fand hinein. Meine zweite Frage hatte sich erledigt.
Darius stopfte eher. Seine Kleidung war nur notdürftig zusammengelegt. Es dauerte nicht lange, bis er fertig war und alles verstaunt hatte. »Wir können los«, sagte er grinsend und tat, als hätte er ein Glas Bier in der Hand. »Auf tolle Tage mit dir.«
9.
Senile Bettflucht nennt man es wohl, was mich um halb acht aus dem Schlaf treibt. Darius hat sich auf die Seite gedreht, atmet ruhig und gleichmäßig. Vorsichtig stehe ich auf, um ihn durch die Bewegung nicht zu wecken. Unter der kalten Dusche vertreibe ich den letzten Rest Müdigkeit, trockne mich ab und ziehe den Bademantel an. In der Küche mahle ich Kaffee, stelle den Wasserkocher an, spüle die Kanne aus. Solange Darius noch schläft, muss ich nicht frühstücken, aber Kaffee brauche ich. In meinem Arbeitszimmer fahre ich den Computer hoch, solange das Wasser noch nicht kocht. Mit dem Kaffee setze ich mich vor den PC und checke Mails und Nachrichten bei Gay Romeo, surfe ein bisschen, warte, bis sich im Schlafzimmer etwas regt. Zwischendurch überlege ich, Brötchen zu holen, doch habe ich Angst, Darius ist nicht mehr da, wenn ich zurückkomme. Er könnte einfach fort sein, wie vor fünfzig Jahren.
›Du bist albern‹
, sage ich mir.
›Wenn er weg ist, ist er weg. Ihr hattet einen schönen Abend, du hast gesehen, was aus ihm geworden ist. Ihr habt euch noch einmal wieder gesehen und passt gar nicht mehr zueinander.‹
Ohne Erfolg. Ich lausche in der Stille auf Geräusche aus dem Schlafzimmer, traue mich nicht, wenigstens ein Radio anzuschalten. Es könnte ihn wecken.
Als der Computer mich langweilt, ich alle Mails und Nachrichten beantwortet habe, gehe ich zurück in die Küche, nehme mir einen zweiten Kaffee und hole ein Glas gemischter Kräuter aus dem Tiefkühlschrank, die ich irgendwann mal für Notfälle gehackt habe. Auch ohne Brötchen soll Darius ein gutes Frühstück bekommen. Mit der Arbeit verfliegt meine Angst. Ich mache jede Menge Geräusche, als ich den Teig rühre, um herzhafte Kräuterpfannkuchen zuzubereiten.
Die fertigen Pfannkuchen stelle ich in den Ofen. Zwischendurch lausche ich nach oben. Einerseits tut es mir leid, so laut zu sein, andererseits hoffe ich, Darius erwacht. Das eigene Haus erstickt in Starre, wenn man auf etwas wartet und sich nicht bewegen mag. Ich decke den Tisch, schneide – wieder rücksichtslos laut – Salami und Schinken mit der Maschine in dünne Scheiben und atme erleichtert aus, als ich Schritte auf der Treppe höre.
»Guten Morgen.«
Darius steht nackt in der Küche, die Falten des Bettlakens haben sich in seine Haut gedrückt, in seinen Wimpern klebt noch Schlaf.
»Habe ich dich geweckt?«
»Das wolltest du doch auch.« Er grinst. Trotzdem schaue ich kurz zu Boden wie ein ertapptes Kind.
»Ja«, gebe ich zu.
Darius schnuppert, schaut ins Wohnzimmer auf den Tisch. »Mit so köstlichem Duft darfst du mich gern wecken.«
Ich hole die Pfannkuchen aus dem Ofen, Darius trägt die Kaffeekanne ins Zimmer, wir setzen uns einander gegenüber und schauen uns an. Er nackt, ich im Bademantel. Erinnerungen entführen mich in eine Hütte im Allgäu, fernab von anderen Häusern, die Gardinen trotzdem zugezogen. Ich träume mich in eine Woche lauschiger und langer Nächte, in denen wir geredet und gespielt haben. Wie wenig habe ich damals von ihm erfahren?
»Guten Appetit«, wünsche ich und reiche Darius den Teller mit den Pfannkuchen.
»Wie spät ist es eigentlich?«
»Etwa halb zehn.«
Darius nimmt einen Pfannkuchen, sieht mir dabei zu, den Honig über meinen zu streichen, macht es mir nach, isst einen Bissen und sagt mir vollem Mund: »Scheiße.«
Im Radio singt Robbie Williams »Misunderstood«. Ich schlucke hinunter, brauche ein bisschen, um zu begreifen, dass sich der Ausspruch auf die Frage nach der Zeit bezieht.
»Ich hätte wohl besser gestern Abend schon gefragt, wann du heute arbeiten musst?« Arbeit findet in meinem Leben nicht mehr statt. Ich muss nicht mehr nach der Uhr leben, die Galerie nicht mehr pünktlich öffnen, keine
Weitere Kostenlose Bücher