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Haus der Jugend (German Edition)

Haus der Jugend (German Edition)

Titel: Haus der Jugend (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Tietgen
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Schultern hoch, obwohl sich der Frost bei dieser verkrampften Haltung nur schneller durch den Körper frisst. Vom Aloisiushaus ist nichts zu sehen. Vor uns liegt eine Schonung in fast geometrischer Form. Zielstrebig hält Darius darauf zu, rennt fast, als fürchtete er, zu spät zu kommen, als hätte er eine Verabredung, zu der er pünktlich sein müsste. Ich versuche ihm zu folgen, bleibe hinter ihm zurück und verliere ihn im dichten Wald aus den Augen. Holz knackt, Schritte rascheln über die Schneedecke. Darius muss den Weg verlassen haben und sich durchs Unterholz kämpfen. Zweige wippen leicht nach.
    »Warte bitte!«, rufe ich ihm nach. »Ich kenne den Weg doch nicht.« In gebückter Haltung komme ich vorwärts, sehe Schuhe vor mir, Beine in Jeans, richte mich auf.
    »Entschuldigung.«
    »Macht nichts. Ich kann nur nicht mehr so schnell.« Kein Vogel ist zu hören, keine Maus, die raschelnd durch das gefrorene Laub huscht, nicht mal der leichte Wind. Darius hält mir die Äste aus dem Weg, schreitet voran, schaut sich immer wieder um, ob ich auch folge. Es dauert nicht lange, bis wir zu einer Lichtung kommen, am westlichen Rand ein abgeerntetes Weizenfeld. Der Boden unter dem Raureif – weich und voller Moos. Im Norden eine Zunge aus Bäumen, dahinter versteckt: das Aloisiushaus. So, wie ich es in Erinnerung habe. Ein richtiges Einfamilienhaus mit zwei Etagen und einem hölzernen Balkon. Das Holz dunkel gebeizt, verwitterter als vor fünfzig Jahren. Auf der Terrasse und vor der Eingangstür liegt gefrorenes Laub.
    Das Haus fügt sich sonderbar in die Landschaft ein, dabei müsste es im flachen Nordland doch wie ein bayerischer Störfaktor wirken. Die Klappen der Fenster sind geöffnet, hinter den Scheiben brennt Licht. Rauch kommt aus dem Schornstein. Den hätten wir doch vom Auto aus über dem Wald aufsteigen sehen müssen.
    »Wir werden erwartet«, sagt Darius, verlangsamt seinen Schritt, lässt mich überholen, als wolle er sich hinter mir verstecken.
    »Hast du Angst?«
    »Ja.«
    Das warme Licht ist verlockend, die trockene sonnige Kälte treibend, doch auch ich gehe nur langsam über die Lichtung auf das Haus zu. Ganz anders als bei unserem ersten gemeinsamen Besuch, als wir froh, endlich angekommen zu sein, den Schlüssel aus der Holzklappe genommen und es uns allein im Haus gemütlich gemacht haben.
    Wer ist im Haus? Der Wolpertinger? Ihn habe ich komisch aber freundlich erlebt. Warum habe ich Angst?
    Darius bleibt dicht hinter mir. Der Türgriff lässt sich bewegen, ohne zu knarren, die Tür leicht aufziehen. Einen Moment bleiben wir an der Schwelle stehen, schauen in die Gaststube. Es hat sich kaum etwas geändert. Der Fußboden scheint abgewetzter und dunkler, das Eichenholz an den Wänden hat Patina angesetzt, die grüne Farbe an den Türen blättert ab, normale Verschleißerscheinungen, normaler Fraß der Zeit, aber alles ist so vertraut wie die Kulisse einer Fernsehserie, die man regelmäßig ansieht.
    Zwei der Tische sind an die Wand gestellt und mit einem sauberen weißen Tischtuch bedeckt. Darauf ein Buffet. Frische Brötchen, Karaffen mit Saft, Schalen mit Haferflocken und Cornflakes, eine riesige Aufschnittplatte, ein Krug mit Milch, Konfitüren, Honig, gebratene Würstchen, Rührei, Speck, Kaffee, Tee. Auf dem Tisch in der Mitte des Raums stehen Geschirr, eine Vase mit Schneeglöckchen und eine brennende Kerze.
    Niemand ist zu sehen. Wie in den Häusern meiner Wanderung. Alles steht bereit wie durch einen Zauber. Die Kerze und die Teelichter unter den warmen Speisen flackern im Windzug der geöffneten Tür. Ich fasse Darius am Arm, betrete mit ihm das Haus und schließe die Tür. Kurz lausche ich. Was ist, wenn sich das Schloss versperrt, wenn jemand den Schlüssel von außen dreht, um uns hier gefangen zu halten? Kein verdächtiges Geräusch.
    Trotz der Wärme setzen wir uns zögernd in unseren Jacken an den Tisch. Trotz der noch kalten Hände schenken wir uns keinen Kaffee ein. Wir sitzen einander gegenüber und schweigen, lauschen in die Stille, auf das Brodeln der Flüssigkeiten über den Stövchen, das leichte Zischen, wenn Fett aus den gebratenen Würstchen auf die Platte tropft, das Ächzen des Gebälks zwischen Wärme und Frost. Wir warten, die Worte zwischen uns erstickt, darauf, dass sich der Wolpertinger zu uns setzt oder überhaupt etwas geschieht.
    »Es wird niemand kommen.« Darius sieht mich an, er ist blass, seine Augen gespannt geöffnet, seine Schultern gerade.
    »Dann lass

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