Haus der Lügen - 8
Tarnung. Alles, was ich Teagmahn berichtet habe, war die lautere Wahrheit. Also werde ich als sehr zuverlässige Quelle angesehen. Das hat zusätzlich noch einen anderen Vorteil: Teagmahn ist so sehr damit beschäftigt, Euch im Auge zu behalten, dass er nicht ein einziges Mal nach mir geschaut hat.«
Der Unterpriester zuckte mit den Schultern.
»Also, Eure Eminenz: Sahmantha und die Kleinen warten in der Poststation – deren Besitzer ist zufälligerweise einer ihrer Vettern. Er weiß nicht viel, nur, dass Ihr in Schwierigkeiten steckt. Aber ebenso wie eine erstaunlich große Zahl von Leuten hier in Gletscherherz verehrt er Euch zutiefst. Alles, was er tun muss, ist den Mund darüber zu halten, dass er uns gesehen hat. Meines Erachtens kann die Inquisition unmöglich auf die Idee kommen, Ihr hättet es irgendwie vom Gipfelhaus hierher auf die andere Seite des Tairys-Berges schaffen können – während einer der schlimmsten Schneestürme der letzten dreißig Jahre! Sie denken aber sicher auch nicht, Ihr wäret wieder den Berg hinabgestiegen und über Tairys selbst entkommen. Dennoch dürfte ihnen das immer noch deutlich einleuchtender erscheinen als das hier . Also werden sie sich wohl ganz auf den Verkehr konzentrieren, der durch die Stadt fließt, was heißt: auf den Verkehr auf dem Grauwasser und auf der Straße, die am Flussufer entlang nach Bergsee führt und von dort nach Siddar-Stadt. Währenddessen aber marschieren wir nach Westen, bis nach Klippenkuppe. Dann wenden wir uns nach Süden und durchqueren die Südmark bis nach Silkiah.«
Cahnyr starrte Gorath an. Es gab also einen geheimnisvollen Wohltäter, aha, einen mit so viel, ja schier unglaublich viel Weitblick, dass so weit im Voraus hatten Vorbereitungen für seine, des Erzbischofs, Flucht getroffen werden können! Nur Gorjah in die Sache hineinzuziehen, seine junge Familie diesen Gefahren auszusetzen, nein, das widerstrebte Cahnyr doch heftig. Nur hatte er ganz offenkundig die Dinge nicht mehr in der Hand – zumindest vorerst.
Die Heilige Schrift lehrt, dass Gottes Wege unergründlich sind, Zhasyn , mahnte er sich. Vergiss nicht, was du damals gedacht hast, als dieser Brief dich erreicht hat: Dieses Schreiben hat doch bewiesen, dass es noch andere gibt, die kommen sahen, was du vorausgesehen hast, die erkannt haben, was auch du und der ganze ›Kreis‹ erkannt habt. Cahnyr verzog die Lippen zu einem schiefen Grinsen. Und die besser organisiert sind als der ›Kreis‹! Wenn es andere gibt, fähig und willens, sich gegen einen übermächtig scheinenden Feind zu stellen, gänzlich unbemerkt, auch von mir, dann muss es in Clyntahns und Trynairs ach so sauberem Haus deutlich mehr Spinnenratten im Gemäuer geben, als ich mir hätte träumen lassen! Samyl hat wohl Recht – die wirkliche Veränderung, die echte Reform, braucht die Bedrohung von außen , durch die Kirche von Charis. Und im Schoß von Mutter Kirche gibt es mehr, die bereit sind zu handeln, als Clyntahn jemals vermutet hätte – oder ich jemals zu hoffen gewagt!
Bei diesem letzten Gedanken verspürte er tiefe Scham. Scham angesichts der Arroganz, die ihn davon abgehalten hatte, zu glauben, es könne noch andere solche Menschen geben. Scham, weil er Gharth Gorjah ausgeschlossen hatte, so hehr und edel seine Motive auch gewesen sein mochten – ausgeschlossen von etwas, dem der junge Priester doch so unbedingt angehören wollte. Scham, weil er, ein Erzbischof, daran gezweifelt hatte, Gott werde die Herzen und Seelen finden, wann immer Er sie brauchte und zu sich rief.
Sanft strich er dem jüngeren Priester über die Wange und lächelte ihn im trüben Licht der Laterne an.
»Ich halte Sie immer noch für verrückt«, sagte er leise, »aber wenn Sie verrückt sind, dann bin auch ich es. Und manchmal sind es Verrückte, die Gott braucht.«
.III.
HMS Chihiro , Gorath Bay, Königreich Dohlar
»Bischof Staiphan und Admiral Hahlynd kommen gleich längsseits, Mein Lord.«
Graf Thirsk blickte von dem Bericht auf, der auf seinem Schreibtisch lag. Gerade steckte Lieutenant Bahrdailahn den Kopf durch die Tür zur Kajüte hinein. Der Leutnant, ein recht gut aussehender junger Mann mit kohlenschwarzem Haar, war respektvoll wie immer. Er war Baron Westbars jüngster Bruder, daher bei gesellschaftlichen Anlässen nicht Lieutenant, sondern Sir Ahbail Bahrdailahn. Die Baronie seines Bruders lag im Südwesten des Herzogtums Windborne und besaß keinerlei Zugang zum Meer. Trotzdem hatte sich Bahrdailahn
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