Haus der Lügen - 8
genau stimmte. Und er wusste auch – dank Owl –, dass die Berichte, die ihn von seinen Schonern dreißig Meilen weiter nördlich aus erreichten, ebenfalls zutrafen ... nur waren sie nicht ganz vollständig.
Der High Admiral beugte sich noch weiter vor, stützte sich auf die Tischplatte und markierte mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand die Position des eigenen Schiffes und die des Gegners.
Genau da, wo du sie auch erwartet hattest , dachte er. Na, bleib mal lieber ehrlich – dass der Gegner seinen Zeitplan so gut einhalten würde, damit hast du nicht gerechnet!
Er schürzte die Lippen und dachte darüber nach, was er über die Offiziere der Gegenseite wusste.
Dank Owls Fernsonden war das eine ganze Menge. Der Kommandeur des Kontingents aus den Tempel-Landen – und zugleich auch Oberkommandierender der gesamten Streitmacht – war Bischof Kornylys Harpahr vom Chihiro-Orden. Er war jetzt Admiral General der Kirchlichen Flotte. Natürlich hatte die Kirche nie zuvor über eine Navy verfügt, und Harpahr hatte keinerlei Erfahrung damit, Kriegsschiffe zu befehligen. Allerdings hatte er reichlich Erfahrung als Offizier der Tempelgarde – zu Friedenszeiten. Trotz seines silbergrauen Haares war er kaum über fünfzig und sehr tatkräftig. Recht schlau war er auch, zumindest nach allem, was Lock Island über ihn herausgefunden hatte. Das war bedauerlich. Ebenso bedauerlich wie die Tatsache, dass Harpahr voll hinter der Politik des Tempels stand.
Glücklicherweise war im Tempel Thirsks Entlastung der Führungsebene durch Stabsstellen noch nicht bekannt. Doch es stand völlig außer Frage, dass die Männer, die für die Organisation der neugegründeten ›Flotte Gottes‹ verantwortlich waren, durchaus etwas im Köpfchen hatten. Sie hatten ihre Galeonenstreitmacht in Geschwader zu jeweils sechs Schiffen aufgeteilt. Jedes Geschwader unterstand einem Prälaten mit Erfahrung im Dienst der Tempelgarde, und jedem dieser Admiral-Bischöfe war ein Flaggkommandant zur Seite gestellt, der entweder von der Küstenwache kam, vom Zoll oder vom Kurierdienst der Kirche. Natürlich war das nicht ganz das Gleiche, wie schon einmal ein Kriegsschiff befehligt zu haben – schon gar nicht im Rahmen von Seeschlachten. Aber es bedeutete zumindest, dass jeder dieser Bischöfe wenigstens einen Ratgeber hatte, der sich damit auskannte, welchen Beschränkungen die Manövrierfähigkeit eines Schiffes unterlag.
Bischof Kornylys’ Flaggkommandant war Pater Ahrnahld Taibahld, ein Oberpriester des Schueler-Ordens. Taibahld kommandierte NGS Schwert Gottes , Harpahrs Flaggschiff. Er war zehn Jahre jünger als sein Admiral und noch energiegeladener. Der dunkelhaarige Mann mit den fast schwarzen Augen war alles andere als ein Narr. Fast zwanzig Jahre lang hatte er bei der Küstenwache gedient. Er und der Bischof kamen recht gut miteinander aus – wieder zu Lock Islands Bedauern. Und schlimmer noch: Taibahld wusste, dass sich Harpahr seine Empfehlungen nicht nur anhörte, sondern erwartete, dass sein Flaggoffizier sie ihm von sich aus unterbreitete.
Sie werden gewiss Fehler machen , sinnierte Lock Island, aber es werden keine dummen Fehler sein. Nicht wie die, die Malikai vor der Felsnadel gemacht hat. Ich darf nur auf Fehler aus Unerfahrenheit hoffen – sie werden Fehler machen, die intelligenten Menschen unterlaufen, die für ihre Aufgaben nicht anständig ausgebildet wurden. Das muss ich im Hinterkopf behalten!
Das Harchong-Kontingent hingegen besaß aus Lock Islands Sicht eine deutlich anfälligere Kommandostruktur. Die Rangbezeichnungen der Imperial Harchongese Navy konnte man für lächerlich halten, aber vermutlich war dergleichen zu erwarten bei einer Streitmacht, die zumindest technisch gesehen die größte der Welt war ... dabei aber weniger Schiffe im aktiven Dienst hatte als Corisande. Natürlich unterhielten sie ein Offizierskorps, das groß genug war, auch sämtliche Schiffe zu kommandieren, die sich nicht im aktiven Dienst befanden. Sobald aber ein Offizier in den Rang eines Captains aufgestiegen war, verliefen bei der IHN sämtliche Beförderungen ausschließlich nach dem Prinzip der Seniorität.
Folglich war der ranghöchste Offizier über Wasser ein gewisser Chyntai Shaiow, seines Zeichens Herzog Aufgehende Sonne, der sich des Titels eines Admirals der Weiten Ozeane erfreute. Er war entfernt mit Kaiser Waisu verwandt und offiziell schon zwei Jahre vor seiner Geburt in die IHN eingetreten. Das und die angemessenen
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