Haus der Lügen - 8
hindurch und verwandelte die Segel in mattgraues Zinn. Der Captain der Ahrmahk stand reglos da, maß mit zusammengekniffenen Augen Entfernungen ab, nahm Schätzungen über Bestreichungswinkel vor, suchte nach Lücken zwischen den feindlichen Schiffen. Mit den Fingerspitzen der rechten Hand trommelte er einen langsamen Rhythmus auf die Scheide seines Schwerts. Eine weitere Kanonenkugel zerfetzte die Finknetze mittschiffs. Sie riss einen Marine in den Tod und fraß einen Halbkreis von zwei Zoll Breite in den Großmast; dann versank sie irgendwo auf der anderen Seite des Schiffes in den Fluten.
Baikyr zuckte nicht einmal zusammen. Er stand da und wartete, und Lock Island empfand plötzlich tiefe Zuneigung für diesen adretten kleinen Flaggkommandanten.
Der Abstand schrumpfte weiter. Wie die Lanze eines Ritters ragte der Bugspriet der Ahrmahk voraus. Der Gegner aber war kein anderer Ritter, sondern ein Massiv aus mondlichtbeschienenen Segeln und bereitstehenden Breitseiten. Geschützpforten blitzten vor der Ahrmahk auf – Dutzende, Hunderte. Kanonenkugeln sausten durch die Luft, bohrten sich in ihren Bug, zerfetzten ihre Segel. Weitere Matrosen wurden auf Deck geschleudert, verwundet oder tot; andere nahmen ihren Platz ein. Hände umklammerten Hebebäume und Ladestöcke. Weiß traten die Fingerknöchel hervor, hier und da bewegten sich Lippen im lautlosen Gebet. Und der Abstand zum Feind verringerte sich immer weiter.
Selbst Lock Island schien es unglaublich, dass so viele Kanonen so viele Kugeln auf ein einzelnes Ziel abfeuern sollten, ohne dass die Ahrmahk dabei in Stücke gerissen wurde. Der Kanonendonner wurde häufiger und lauter. Splitter wirbelten durch die Luft. Weitere Männer schrien. Die Vorbramstenge knickte ab. Eine der Karronaden auf dem Vorderdeck wurde genau getroffen, der Schlitten zerbarst und schleuderte todbringende Splitter quer über Deck.
Und dann, endlich, schob sich Lock Islands Flaggschiff, das immer noch keinen einzigen Schuss abgefeuert hatte, in die Lücke zwischen zwei Galeonen der Kirche.
Harpahr schaute zu, wie der vorderste Charisianer näher und näher kam wie ein Moloch, unaufhaltsam, übergossen von Mondlicht. Seine Schützen trafen den Gegner – sie wussten , dass sie ihn trafen. Und doch schien das Schiff unzerstörbar. Unbesiegbar. Harpahr sah, wie immer mehr Löcher in die charisianischen Segel gerissen wurden, und das Meer rings um das Schiff schien zu kochen, als Tonnen von Eisen die Oberfläche durchpflügten. Wenigstens einige der Kanonenkugeln mussten den Charisianer doch treffen, mussten töten und verwunden, die Mannschaft dezimieren!
Dann stürzte die Vorbramstenge des Charisianers zur Seite wie ein gefällter Baum, und Harpahr hielt den Atem an. Jetzt, so glaubte, so hoffte er, würde das Schiff beidrehen und seine Breitseite zum Einsatz bringen. Jetzt würde man es ihnen, dem Feind, endlich heimzahlen wollen.
Der Charisianer drehte nicht bei. Er hielt Kurs. Der Bischof spürte, wie sich tief in seinem Herzen ein Gefühl regte, noch schwer zu greifen. Es war keine Furcht, aber doch etwas sehr Ähnliches. Grauen vielleicht. Harpahr hatte schon Schlachten erlebt. Er wusste, welch eiserne Disziplin es erforderte, schweren Beschuss einfach hinzunehmen – so viele Kanonen aufflammen zu sehen, die Hass und Tod schleuderten, und dabei ungerührt vorzurücken. Harpahr wusste , was er vor sich sah ... und er spürte bereits, welchen unmenschlich hohen Preis dieser Mut und diese Disziplin seinen eigenen Männern noch abverlangen würden.
Ein Donnerkeil aus massivem Eisen traf den Bug der Ahrmahk , als sie gerade zwischen NGS Heiliger Krieger und NGS Kreuzzug hindurchfuhr. Diese Kugeln stammten von einer dritten Galeone, die fast genau dwars zum Kurs der Ahrmahk stand. Der Fockmast wankte, stürzte und klatschte in die Wellen. Die Großbramstenge riss er mit sich, unter Jubel von voraus. Unter den Opfern waren auch zwei Leutnants. Sylmahn Baikyr blickte zu seinem First Lieutenant hinüber.
»Sie dürfen das Feuer eröffnen, Master Vykain«, sagte er.
Harpahr verzog das Gesicht, als der vorderste Charisianer schließlich doch noch das Feuer eröffnete.
Einen Moment lang glaubte der Bischof, das gegnerische Schiff sei explodiert, als beide Breitseiten gleichzeitig feuerten. Er hatte den vom Wunschdenken diktierten Gedanken noch nicht ganz zu Ende gedacht, da begriff er, wie sehr er sich getäuscht hatte. Trotz all der Schäden, die die Galeone während ihres langen,
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