Haus der Lügen - 8
nicht verdenken. Dort drüben standen beinahe sechzig Galeonen, und dass sie keine richtige Formation hielten, machte das Ganze nicht besser. Der High Admiral kannte seine Kapitäne. Er wusste, dass sie die Schlachtreihe aufrechterhalten würden, solange das nur menschenmöglich war. Sie würden das Feuer auf jeweils ein einzelnes Ziel massieren. Aber er wusste auch, dass diese Schlachtreihe früher oder später auseinanderfallen musste – wahrscheinlich eher früher, gerade angesichts des Chaos und der Verwirrung, die ein Gefecht mitten in der Nacht immer mit sich brachten. Wenn Harpahrs Mannschaften sich als so entschlossen erwiesen, wie Lock Island das erwartete, würde diese Schlacht schon bald in ein Gemetzel ausarten, bei denen verzweifelt Schiff gegen Schiff kämpfte ... und in all dem Wahnsinn würden sie schon bald Freund und Feind nicht mehr auseinanderhalten können.
Das wusste Baikyr ebenso gut wie Lock Island. Trotzdem: falls der Flaggkommandant auch nur einen winzigen Moment gezögert haben sollte, hatte der High Admiral das nicht bemerkt.
»Also gut«, sagte Lock Island. »Bringen Sie uns näher heran, Captain, suchen Sie uns ihr Flaggschiff!«
»Da kommen Sie, Mein Lord«, sagte Taibahld tonlos. Harpahr nickte.
»Ja, da kommen sie«, murmelte er.
Es hatte länger gedauert, als er erwartet hatte. Trotz der Erfahrung, die er auf der langen Überfahrt hatte sammeln können, überraschte ihn, den Armeeoffizier, immer noch, wie lange es dauerte, bis zwei Schiffe endlich ein Gefecht begannen. Gewiss, ein Offizier der Army dachte eben auch in den Geschwindigkeiten, mit denen sich Kavallerie oder Infanterie unabhängig von Wind und Strömungsverhältnissen über ein Schlachtfeld bewegen konnten.
Jetzt waren am Horizont keine Flammen mehr zu erkennen. Eines von Harpahrs Schiffen war, begleitet von einem spektakulären, vulkanartigen Donnergrollen, explodiert, als die Flammen schließlich die Munitionskammer erreicht hatten. Die anderen brennenden Hulks waren einfach verschwunden: bis zur Wasserlinie niedergebrannt. Mehr als zweieinhalb Stunden waren vergangen, seit das Grollen der Geschütze seine Schachpartie unterbrochen hatte, und es würde noch mindestens vier weitere Stunden dauern, bis die Charisianer die Flotte erreicht hätten.
Harpahr zweifelte nicht daran, dass seine Kapitäne diese Atempause gut zu nutzen verstünden. Er war dankbar, dass ihnen die Zeit bliebe, sich von dem ersten Schock über das plötzliche Auftauchen der Charisianer zu erholen. Trotzdem war die Moral seiner Männer, das wusste der Bischof genau, schwer angeschlagen.
Und die Moral der Charisianer wurde durch diesen Erfolg zweifellos gewaltig gehoben , dachte er grimmig. Na, dann schauen wir doch mal, was sich dagegen unternehmen lässt!
Ausgiebig hatten Lock Island und Rock Point darüber nachgedacht, welche Formation sie wählen wollten.
Von ihren fünfundzwanzig Galeonen hatten nur die zwölf, die Rock Point nach Larek geführt hatte, Granaten in den Munitionskammern. Zehn der dreizehn Galeonen unter Lock Islands Oberkommando hätten die neue Munition ohnehin nicht abfeuern können, selbst wenn sie bereits an Bord gewesen wäre. Sie waren noch mit den ›Kraken‹ bestückt, die bei der Royal Charisian Navy früher Standard gewesen waren. Mit anderen Worten: Sie waren altmodisch bewaffnet. Die Granaten jedoch hatte man für die ›Kraken‹ der neumodischen Konstruktionsweise entwickelt, bei denen nur noch Dreißig-Pfund-Geschosse verwendet wurden, nicht die alten Fünfunddreißig-Pfund-Geschosse.
Schließlich hatten die beiden Admiräle sich für eine Formation entschieden, in der Rock Points mit Granaten ausgestattete Schiffe immer mit Lock Islands Galeonen alternierten. Die einzige Ausnahme bildeten die beiden Schiffe an der Spitze: Die Ahrmahk und die Darcos-Sund gehörten beide zu Lock Islands ursprünglichem Geschwader. Bislang, des Überraschungsmomentes wegen, hatte kein Bedarf bestanden, die Granaten einzusetzen. Lock Island wollte der Gegenseite die neue Waffe erst vorführen, wenn sich deren Einsatz auch lohnte . Also würden sie sich den Weg in Harpahrs Formation mit altmodischen Kanonenkugeln freikämpfen, und erst dann sollten Rock Points Schiffe die Granaten abfeuern.
Zumindest so lange, wie sie welche haben , dachte der High Admiral grimmig.
Nun starrte er zu den feindlichen Schiffen hinüber, während sein Flaggschiff den Geschwadern der Kirche näher und näher kam. Wieder spannte er sich
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