Haus der Lügen - 8
mein Tun seine Position stärken und nicht etwa schwächen.«
Erneut runzelte Trynair die Stirn. Wieder war er überrascht, über welchen politischen Scharfsinn sein Gegenüber doch verfügte. Ein treffliches Argument, das der Schatzmeister dem Großinquisitor gegenüber anzubringen wusste! Eines, das obendrein wirklich Sinn ergab!
Nachdenklich blickte Trynair Duchairn an. Er fragte sich, inwiefern sich etwas bei seinem Kollegen verändert hatte. Etwas hatte sich verändert, ja, das spürte er, aber Trynair hätte es nicht benennen können. Duchairn war nicht abgewichen von seiner nach außen projizierten Haltung, er sei erneuert in seinem Glauben – das war es also nicht. Er fand sich auch nicht einfach mit Clyntahns brutalem Vorgehen ab. Er machte noch nicht einmal seinen Frieden mit der Inquisition. Es war irgendetwas ... anderes.
Zhaspahr hat endgültig unter Beweis gestellt, dass er sich nicht im Zaum halten lässt – vielleicht ist es das. Vielleicht hat Duchairn die Realitäten erkannt und begriffen, dass diese Realitäten seinem Idealismus gewisse Opfer abverlangen. Nur ... vielleicht ist es das doch nicht ... Egal: Unrecht hat er jedenfalls nicht damit, dass man sein Verhalten Zhaspahr so am besten verkaufen könnte. Und zweifellos hat er Recht damit, dass man das Volk auch noch durch etwas anderes bei der Stange halten muss als allein durch Angst und Schrecken! Auf diesem Auge war Zhaspahr schon immer blind. Wenn ich den Großinquisitor jetzt dazu bringen kann, Rhobair als unsere ... sanftmütigere, gütige Seite auftreten zu lassen, lässt sich so vielleicht zumindest ein Teil des Schadens wiedergutmachen, den Zhaspahr schon angerichtet hat.
Forschend blickte Trynair Duchairn in die Augen. Dann zuckte er die Achseln.
»Also gut, Rhobair. Gut, ich versuche es, wenn Sie damit zufrieden sind, und handele eine Übereinkunft zwischen Zhaspahr und Ihnen aus: Sie versichern Zhaspahr, dass Sie alles, was in den Zuständigkeitsbereich der Inquisition fällt, widerstandslos ihm überlassen, und im Gegenzug lässt er Ihnen freie Hand, das mildtätige und barmherzige Gesicht der Kirche des Verheißenen zu gestalten. Das lässt sich hinbekommen, denke ich. Aber lügen Sie mich bloß nicht an! Wenn Sie zufrieden damit sind, werde ich mein verdammt noch mal Bestes geben, Zhaspahr Ihren Plan zu verkaufen. Aber sollte ich jemals herausfinden, dass Sie nicht bereit sind, Ihren Teil dieser ... Abmachung einzuhalten, dann wasche ich meine Hände in Unschuld, ganz egal, was mit Ihnen noch passieren mag! Haben wir uns verstanden?«
»Aber natürlich!«, erwiderte Duchairn und überraschte Trynair erneut – dieses Mal mit einem sonderbar sanften Lächeln. »Wissen Sie, in vielerlei Hinsicht war Zhaspahr schon immer sein eigener Feind, der schlimmste seiner Feinde sogar. Das hat seinen Grund. Er hat vergessen – und ich muss zugeben, auch ich hatte es lange Zeit vergessen –, dass Sanftmut und Freundlichkeit manchmal stärkere Waffen sind als Angst und Schrecken. Natürlich liegen gerade Sanftmut und Freundlichkeit nicht in Zhaspahrs Natur und sind damit nicht die Waffen, mit denen er umzugehen versteht. Daher ist es das Beste – für uns alle –, wenn er derlei Dinge mir überlässt.«
.III.
Pater Paityr Wylsynns Arbeitszimmer, Goldmark-Straße, Stadt Tellesberg, Altes Königreich Charis
Blicklos starrte Pater Paityr Wylsynn aus dem Fenster seines Arbeitszimmers.
Die Sonne über Tellesberg stand hoch am Himmel. Sie tauchte die breiten Straßen tief unter ihr in den dunklen, grünen Schatten der Bäume, die das Gebäude umstanden. Früher war hier das Schatzamt untergebracht gewesen. Nun beherbergte es unter anderem auch Wylsynns Arbeitszimmer. Es war spät am Morgen, und wie stets herrschte in Tellesberg geschäftiges Treiben. Das ehemalige Schatzamt jedoch lag in einem Viertel weitab vom Hafen und den zugehörigen Lagerhäusern. Hier rumpelten nicht allzu viele schwere Frachtwagen vorbei, anders als fast überall sonst. Dieser Teil der Stadt war der Finanzbezirk: Banken und Rechtsgelehrte gab es, Aktienhändler und Buchhalter. Abgesehen von den großen, von Echsen gezogenen Wagen, die hier in regelmäßigen Abständen vorbeikamen, beschränkte sich der Verkehr vor allem auf Fußgänger. Nur hin und wieder kamen ein Karren oder ein Reiter vorbei. Hier und da gab es Straßenhändler; bunt zeichneten sich die Markisen und Planen ihrer Karren und Wagen vor den Hauswänden ab. Die meisten von ihnen versorgten die
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