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Haus der Lügen - 8

Haus der Lügen - 8

Titel: Haus der Lügen - 8 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Weber
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das für seinen Vater bedeutete, für seinen Onkel, für all die anderen Männer, die sich ihrem Kampf angeschlossen hatten, den Schueler-Orden zu erlösen ... und Mutter Kirche selbst.
    Als Paityr den Brief am vorangegangenen Abend geöffnet und das erste Mal gelesen hatte, waren ihm die Tränen in die Augen gestiegen. Er hatte geweint, um seinen Vater und dessen Freunde, um Mutter Kirche ... und seinetwegen. Er hatte nicht geweint, weil sein Vater sterben würde – oder vielleicht schon tot war. Der Tod erwartete alle Menschen. Nein, Paityr hatte geweint, weil er wusste, welchen Tod sein Vater würde erleiden müssen. Weil sein Vater sterben würde, ohne die große Aufgabe beenden zu dürfen, der er sein ganzes Leben gewidmet hatte.
    Paityr hatte geweint, weil mit dem Tod seines Vaters dessen Lebenswerk als große Aufgabe nun dessen Sohn zufiel: Paityr Wylsynn, der aber für alle Zeiten zu einem Leben im Exil fernab des Tempels verdammt war. Nach dem Tod seines Vaters war er der einzige Mensch auf ganz Safehold, der den Schlüssel trug. Aber Paityr würde niemals die Gelegenheit haben, ihn zum Einsatz zu bringen, es sei denn, es gelänge der Kirche von Charis, tatsächlich Mutter Kirche mit all ihrer gewaltigen weltlichen Macht auf ganzer Linie zu besiegen.
    Die lange, schlaflose Nacht hatte er meditierend und ins Gebet versenkt verbracht. Er hatte Gott angefleht, ihm den richtigen Weg zu zeigen. Ebenso viele Stunden hatte er damit verbracht, für die Briefschreiberin zu beten.
    Du hast nicht zugelassen, dass ich dich Mutter nenne, Lysbet , dachte er. Stets hast du darauf beharrt, ich solle meine leibliche Mutter im Gedächtnis behalten. So ist es auch gekommen, und dafür danke ich dir. Aber ich war doch erst vier Jahre alt, als sie bei Erais’ Geburt starb! Und wie auch immer ich dich habe nennen dürfen , bist doch auch du meine Mutter!
    Paityr hatte nicht immer so empfunden. Tatsächlich erinnerte er sich sogar noch allzu gut (und mit beachtlicher Scham) daran, wie er mit dem ganzen Ego eines vierzehnjährigen Heranwachsenden voller Entrüstung Sitte und Anstand beschworen hatte, als sein alternder Vater – einundvierzig Jahre alt immerhin! – eine neue Gemahlin mit nach Hause gebracht hatte, kaum sieben Jahre älter als sein eigener, mutterloser Sohn. Ach, die Frau war noch nicht einmal elf Jahre älter als die Tochter dieses anstandslosen Mannes! Schimpflich! Wie konnte sein Vater sich nur mit jemandem herumtreiben, der so viel jünger war als er selbst? Es war doch ganz offensichtlich, dass ihn nur ihre körperliche Schönheit und ihre Jugend anzogen, nicht wahr?
    Beinahe ein Jahr hatte Lysbet gebraucht, um die Wogen zu glätten. Heute wusste ein älterer (und hoffentlich weiserer) Paityr Wylsynn, dass es tatsächlich ihre körperliche Anziehungskraft gewesen war, die Samyl Wylsynn zunächst auf sie hatte aufmerksam werden lassen. Dass diese schlanke, brünette Schönheit so ganz anders war als seine rothaarige erste Frau mit ihren blauen Augen, hatte vermutlich auch nicht geschadet. Doch was auch immer der Grund gewesen sein mochte, weswegen Samyl Wylsynn sich ursprünglich zu Lysbet hingezogen gefühlt hatte: er hatte sie nicht nur wegen ihrer unbestreitbaren Schönheit und ihres jugendlichen Alters geheiratet. Kaum dass Paityr seine Stiefmutter besser kennen gelernt hatte, da hatte auch er sie zu lieben gelernt, ebenso aufrichtig und von ganzem Herzen, wie er die jüngeren Brüder und die kleine Schwester liebte, die Lysbet ihrem Mann, seinem Vater, und damit auch Paityr selbst, geschenkt hatte.
    Und jetzt hielt sich Lysbet irgendwo versteckt ... wenn sie Glück hatte. Seine Brüder, seine kleine Schwester, die er so sehr liebte, und Lysbet rannten um ihr Leben, versuchten sich verzweifelt vor Männern zu verbergen, die Kutten in der gleichen Farbe und mit dem gleichen Wappen trugen wie Paityr Wylsynn. Würden die Flüchtenden gefunden, würde Lysbet vielleicht nicht nur miterleben müssen, dass ihr Gemahl der peinlichen Befragung unterzogen wurde, sondern auch ihre Kinder . Und doch, trotz all dieses Entsetzens, trotz dieser durchaus möglichen Gräuel, hatte sie sich die Zeit genommen, ihn, ihren Stiefsohn, noch einmal wissen zu lassen, dass sein Vater ihn liebte. Um ihm Trost zu spenden.
    Bitte, großer Gott , betete Pater Paityr Wylsynn nun, mach, dass sie in Sicherheit sind! Beschütze sie! Breite deine schützende Hand über ihnen aus und bring sie hierher – in Sicherheit!

.IV.
    Das Schloss,

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