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Haus der Sonne

Haus der Sonne

Titel: Haus der Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nigel Findley
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Quadratzentimeter Wand würde von Bücherregalen eingenommen. Es würde einen Sessel speziell zum Lesen geben - vorzugsweise einen großen alten Ohrensessel (obwohl ich wahrscheinlich nachträglich eine Massageeinheit einbauen lassen würde) ein paar kleine Tischchen für Karaffen mit Single-Malt Scotch und vielleicht zwei oder drei andere (kleinere) Sessel, falls ich jemals Freunde in mein Allerheiligstes einladen würde.
    Sehen Sie sich die Beschreibung noch einmal an. Sie traf genau auf den Raum zu, den wir jetzt betraten, und zwar bis hin zu der Kristallglas-Karaffe mit einer rauchigen, bernsteinfarbenen Flüssigkeit auf einem Nebentischchen. Meine erste Reaktion war: »Ja, genau.« Meine zweite: »Es gibt keine Gerechtigkeit.« Und dann unterdrückte ich beide und konzentrierte mich ganz auf den Burschen, der in dem Ohrensessel saß und uns musterte.
    Er sah alt und gebrechlich aus, mit Knochen so dünn und zerbrechlich wie die eines Vogels und bleicher und pergamentdünner Haut. Er war fast kahl, und seine Hände - die er nachdenklich vor den Lippen verschränkt hatte - waren knochig und fleischlos. Aber es waren seine Augen, die meine Aufmerksamkeit erregten und fesselten: dunkle, durchdringende Augen, die Augen eines Falken. Intelligenz und Wachheit funkelten in diesen Augen wie aus Fenstern zur Seele eines jungen und lebenssprühenden Mannes, die sich nur zufällig im Körper eines Achtzigjährigen aufhielt. Die Kraft seiner Persönlichkeit strahlte in Wellen von ihm aus. Hier, erkannte ich, war ein Mann, den man respektieren mußte - vielleicht sogar fürchten, aber auch mögen.
    Ich spürte Scotts Anwesenheit neben mir. Hinter uns horte ich das Klicken, als sich die Bibliothekstür schloß. Ich blinzelte, und zum erstenmal nahm ich Notiz von dem Adjutanten - noch ein Samurai aus dem einund-zwanzigsten Jahrhundert der schweigend hinter dem Sessel des Oyabun stand.
    Mr. Ekei Tokudaiji schwieg ein paar Augenblicke, wahrend seine Augen mein Gesicht musterten und - zumindest fühlte es sich so an - die Tiefen meiner Seele ausloteten. Schließlich verzogen sich seine dünnen Lippen zu einem freundlichen Lächeln. »Mr. Montgomery«, sagte er. Seine Stimme war weich wie Samt, nicht laut -aber das brauchte sie auch nicht zu sein - und völlig akzentfrei. »Willkommen. Bitte.« Er deutete auf einen Sessel - einen weiteren Ohrensessel aus Leder, aber kleiner als seiner -, der seinem gegenüberstand.
    »Vielen Dank«, antwortete ich.
    Der Yakuza-Boß beobachtete mich, während ich mich setzte. Mir fiel auf, daß der Oyabun nicht einmal einen flüchtigen Blick auf Scott warf, als existiere der Chauffeur überhaupt nicht. (Nein, korrigierte ich, als sei Scott ebenso irrelevant für unsere Unterhaltung wie ein Möbelstück... oder auch sein eigener Adjutant.)
    Ich ließ meinen Blick ostentativ durch das Zimmer schweifen und nickte beifällig. »Nette Einrichtung.«
    Er lächelte, als freue ihn meine Bemerkung, als bedeute es ihm auf die eine oder andere Weise etwas. »Vielen Dank.« Er deutete auf die Bücher. »Ein Mann braucht eine Zuflucht, wo ihn die großen Gedanken der Vergangenheit vor dem Chaos der Welt abschirmen.« Er hielt kurz inne. »Ich entschuldige mich für...« Er neigte den Kopf in Richtung Vorzimmer. »Eine Notwendigkeit. Das sollte keine Herabsetzung sein.«
    »Ich habe es auch nicht so aufgefaßt.« Ich zwang mich dazu, mich zu entspannen, abzuwarten. Bei diesem einleitenden, bedeutungslosen Protokoll, das offenbar allen Besprechungen auf höherer Ebene zugrunde lag, fühlte ich mich nie wohl. Warum nicht einfach zur Sache kommen und voranmachen? Aber es war das Spiel des Oya-bun, und daher waren es auch seine Regeln.
    »Wie geht es Mr. Barnard?« fragte Tokudaiji einen Augenblick später.
    »Er ist müde«, erwiderte ich, als ich mich an Barnards Aussehen auf dem Telekomschirm erinnerte. »Aber er hat eine nette Wohnung in Kyoto.«
    »Eine zauberhafte Stadt«, sagte der Oyabiin mit einem leichten Neigen des Kopfes, »mit sehr viel Geschichte und Kultur. Waren Sie schon einmal dort, Mr. Montgo-mery?«
    Noch ein hochrangiger Pinkel, der sich nach meinen Reisen erkundigte. Was war das, ein Trend? Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe es nie geschafft.«
    Wiederum schwieg der Oyabun einige Augenblicke, in denen er mich mit festem Blick musterte. Dann nahm ich eine subtile Veränderung in seinen scharfen Augen wahr und wußte, daß wir jetzt zum Geschäft kamen. »Ich hörte, Mr. Barnard habe eine

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