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Haus der Sonne

Haus der Sonne

Titel: Haus der Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nigel Findley
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der gerade um die Ecke meines Blumenbeets bog. Er war schnell wie ein geölter Blitz und schwang seine MP herum, um mich in zwei Hälften zu zerlegen. Aber die Angst hatte mich so aufgepeppt, daß ich noch schneller war. Außerdem hielt ihn vermutlich die Tatsache, daß er einen Irren mit wild rollenden Augen und Hibiskus-zweigen im Haar vor sich sah, noch ein oder zwei Millisekunden auf. Ich schob die rechte Schulter vor und sprang ihn mit der Absicht an, sie ihm in die Brust zu rammen. Er tänzelte gerade noch rechtzeitig zurück, also hämmerte ich ihm den Unterarm gegen den Hals.
    Den linken Unterarm. Den Unterarm des übermenschlich starken Cyberarms, für dessen Implantation Jacques Barnard bezahlt hatte. Luftröhre, Zungenbein und Nackenwirbel knirschten unter dem brutalen Zusammenstoß mit von Kunsthaut verkleidetem Titan. Der Samurai flog in eine Richtung, seine MP in eine andere und ich in eine dritte, wobei ich nur ganz kurz innehielt, um ihm, um ganz sicherzugehen, noch eine Kugel aus der Browning in die Brust zu jagen. In vollem Lauf tauchte ich in den Dschungel ein. Hinter mir hörte ich das wupp-wupp-wupp eines kleinen Helikopters, der gerade angeworfen wurde.

    Fragen Sie mich nicht, wie, zum Teufel, ich dort heil herausgekommen bin, Chummer, ich könnte es Ihnen nicht sagen. Ich schaffte es, aber ich glaube nicht, daß ich mich je an die Einzelheiten erinnern werde. Ganze Zeitabschnitte, Minuten um Minuten, waren für mich weiße Flecken. Ich weiß, daß ich durch tropischen Dschungel kroch. Ich weiß, daß ich mörderischen Samurai auswich. Ich weiß, daß ich schließlich eine verdammte Palme em-porkletterte, um über eine verdammte Stahlbetonmauer zu springen. Ich weiß, daß ich durch mehr Dschungel rannte - wie weit ich rannte, weiß ich nicht -, mir dabei die Klamotten zerfetzte, die Scott für mich besorgt hatte, und mir fast den Knöchel gebrochen hätte. Ich weiß, daß ich schließlich auf einer schmalen öffentlichen Straße in einer Wohngegend herauskam, wo ich einen Wagen aufbrach und im wesentlichen machte, daß ich weg kam. Aber die Bilder - die Erinnerungen - sind unzusammenhängend wie Szenen eines schlecht geschnittenen SimSinn-Films - desorientierend und verwirrend.
    Ich fuhr in meinem gestohlenen Wagen, einem winzigen dreirädrigen Chrysler-Nissan Buddy, der schon bessere Zeiten gesehen hatte, ungefähr in westlicher Richtung, als die Reaktion einsetzte. Ich lenkte den Wagen an den Straßenrand, stellte den Elektromotor ab und riß die Tür gerade noch rechtzeitig auf, um mein Frühstück auf die Straße zu würgen. Meine rechte Hand zitterte, als hätte ich Schüttelfrost. Meine linke bewegte sich nur ruckhaft, was das Cyber-Äquivalent desselben war. Mir war kalt, und meine Haut spannte, als sei sie mir zwei Nummern zu klein und gerade erst aus dem Kühlschrank geholt worden.
    Schockzustand, das war es, gekoppelt mit den sehr realen Symptomen einer ›Adrenalin-Überdosis‹. Solange es dauerte, war ich unfähig, irgend etwas zu empfinden, und beinahe unfähig zu denken. Wenn Ekei Tokudaiji mit seinem aufgeplatzten Schädel zu mir gekommen wäre, hätte ich ihm wahrscheinlich seine verdammte Hand geschüttelt.
    Das Zittern und die Übelkeit und das Frösteln vergin-gen schließlich, wie das immer so ist. Nach zehn oder fünfzehn Minuten war ich wieder einigermaßen normal, wenn man von den dumpfen, pochenden Kopfschmerzen und dem komischen Gefühl im Magen vom Adre-nalin-Kater absah. Ich werde zu alt für diesen Drek, sagte ich mir. Ich war kein junger Löwe mehr. Drek, ich war fünfunddreißig und ging auf die sechsunddreißig zu ... und fühlte mich im Moment ein halbes Jahrhundert älter. Ich war dabei, meinen Biß zu verlieren. Ich war dabei? Teufel, ich hatte ihn längst verloren. Wie lange hatte ich in Tokudaijis Bibliothek gebraucht, um die Tatsache zu registrieren, daß Scott mich nicht auch geeken würde?
    Es lag aber nicht nur am Alter und an den nachlassenden Fähigkeiten, oder? Dahinter steckte noch mehr. Ich betrachtete meine linke Hand und ballte sie immer wieder zur Faust.
    Ich schleppte sie immer noch mit mir herum, nicht wahr? Die seelische Last des Megadreks unter Fort Lewis, des Unternehmens, das mich einen Arm und Hawk, Rodney und die anderen so viel mehr gekostet hatte. Ich war noch immer durch sie beeinträchtigt. Mein Timing stimmte nicht, meine Instinkte waren... ja, waren sie tatsächlich verschüttet, oder war es nur so, daß ich ihnen nicht mehr

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