Haus der Sonne
ein leichter Panzer Schwierigkeiten bekommen würde, Ekei Tokudaijis erste Verteidigungslinie zu durchbrechen.
Nach vielleicht einer Minute - genug Zeit für das Sicherheitspersonal, den Wagen mit vermutlich jeder verfügbaren Frequenz des elektromagnetischen Spektrums abzutasten - öffnete sich ein kleines Seitentor, durch das zwei Gestalten traten. Sie trugen teure Anzüge, nicht die uralte japanische Rüstung, mit der ich halb und halb gerechnet hatte, aber ihre Gesichter, ihr Verhalten und ihre Körperhaltung wären in einem Samurai-Film nicht fehl am Platze gewesen.
Keiner der beiden trug sichtbare Waffen, aber einer bezog trotzdem eine perfekte Stellung, um dem anderen Feuerschutz zu geben. Der zweite näherte sich der Fahrerseite. Scott ließ das Fenster herunter und bedachte den Wächter mit einem förmlichen Nicken. »Kotiichi-wa«, sagte der Fahrer, dann redete er weiter Japanisch, und zwar schneller, als ich mit meinen begrenzten Kenntnissen dieser Sprache folgen konnte. Ich hörte einmal Tokudaiji-sama und ein paarmal - glaube ich - meinen eigenen Namen, aber darüber hinaus wurde ich nicht schlau aus dem Wortschwall.
Als Scott fertig war, nickte der Wächter. »Fahren Sie weiter«, sagte er in akzentfreiem Englisch und trat zur Seite, um sich seinem Kollegen anzuschließen. Das Doppeltor schwang lautlos auf, und der Rolls fuhr an.
Außerhalb des Anwesens hatte man dem Wald gestattet, mehr oder weniger wild zu wuchern. Drinnen schien alles - die Lage jedes Baums und Strauchs, sogar die Proportionen des gewundenen Fahrwegs - mit mathematischer Präzision angelegt worden zu sein. Ich hatte das Gefühl, durch die tropische Version eines japanischen architektonischen Gartens zu fahren ... was ich natürlich auch tat.
Ich stieß einen tiefempfundenen Seufzer aus und bedachte Scott mit einem mürrischen Blick. »Sie hätten mir ruhig sagen können, daß Tokudaiji ein verdammter Oya-bun der Yakuza ist«, stellte ich fest.
»Hey, verschonen Sie mich mit diesem Stinkeblick«, protestierte er. »Das war nicht meine Idee, Bruder. Ich befolge nur meine Befehle.«
»Was für eine originelle Entschuldigung«, murmelte ich.
Das Wohnhaus des Oyabun schmiegte sich an den steilen Hang eines mit Grün bewachsenen Hügels. Der Ya-kuza-Boß hatte sich offenbar einen guten Architekten besorgt - jede Linie des Hauses und der dazugehörigen Anbauten und Nebengebäude harmonierte perfekt mit den Konturen des umliegenden Geländes. Wie viele Millionen Nuyen mochte ein Besitz wie dieser wohl kosten? fragte ich mich. Jedenfalls mehr, als ich in meinem ganzen Leben je sehen würde.
Als wir vor dem Haus vorfuhren, hielt ich nach weiteren dieser Samurai in Anzügen Ausschau, wie sie uns am Tor in Empfang genommen hatten. Ich sah keine, spürte jedoch ihre Anwesenheit. Eine Minute lang passierte überhaupt nichts. Scott stellte den Motor des Rolls ab, aber er öffnete weder die Tür, noch rührte er sich. Ich dachte mir, daß er wissen mußte, was er tat, also konzentrierte ich mich auf dieselbe Art des Nichtstuns. Wiederum stellte ich mir vor, wie unsichtbare Finger aus elektromagnetischer Energie den Wagen und unsere Leiber abtasteten und Nieten, Zahnfüllungen und dergleichen mehr zählten.
Schließlich trat eine Gestalt aus der Vordertür des Anwesens - ein weiterer Samurai im Anzug - und blieb ein paar Meter vor dem Wagen stehen. Als sei dies sein Zeichen - was es wahrscheinlich auch war -, stieg Scott aus, ging um den Wagen und öffnete mir die Tür. Ich stieg aus dem klimatisierten Komfort des Wagens aus, und die Hitze und Luftfeuchtigkeit - und der unverkennbare Geruch nach Dschungel - trafen mich wie ein Schlag.
»Bleiben Sie einfach cool, okay?« flüsterte Scott, ohne die Lippen zu bewegen. Ich schnaubte verächtlich. Womit, zum Henker, rechnete er denn? Daß ich ohne jeden Grund durchdrehte und den Samurai mit bloßen Händen umzulegen versuchte? Ja, klar. Einen Moment lang fühlte sich meine linke Hüfte ohne das Gewicht der Seco schrecklich einsam. Scott bezog Stellung zu meiner Linken und einen Schritt hinter mir, während ich auf den Samurai im Armante-Anzug zuging.
Als ich noch ein paar Schritte von ihm entfernt war, drehte er sich wortlos um und ging in Richtung Haus, wobei er offensichtlich erwartete, daß ich ihm folgte. Mit einem Achselzucken tat ich es. Wir gingen durch eine breite Doppeltür - in die ebenfalls das Chrysanthemen-Motiv eingeritzt war, für den Fall, daß es einem Besucher bisher
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