Haus des Glücks
einfindet. Da sehen Sie, wie das mit den Wünschen enden kann, Victoria!
Ich habe Chloral gewählt, weil es für beide Seiten eine angenehme Möglichkeit darstellt. Der Tod tritt im Schlaf ein, und niemand braucht anschließend blutige, verstümmelte Überreste vom Boden zu kratzen. Meinem Nachfolger hätte ich diese Arbeit zwar aus vollem Herzen gegönnt – wer das einmal in seinem Leben hat machen müssen, weiß, was für eine Schweinerei es ist. Aber ich weiß, daß nicht er mich finden wird, sondern Sie, Victoria, oder gar eines der Kinder. Ich möchte niemanden, den ich gern habe, traumatisieren.
Ihnen, liebe Victoria, danke ich aufrichtig für Ihre Geduld, Ihr Verständnis, Ihre Anwesenheit und Ihren Widerspruch. Besonders Letzteres hat in den vergangenen Jahren mein Leben bereichert.
Mein letzter Wille ist denkbar einfach:
Ich hinterlasse Ihnen, liebe Victoria, und Ihren reizenden Kindern Haus, Hof, meinen ganzen Besitz und alles, was noch von meiner Praxis übrig ist samt Inhalt. Sollte der junge Schnösel Sie zu sehr ärgern, können Sie sich als Ärztin selbständig machen. Da Sie im kleinen Finger mehr medizinischen Sachverstand haben als dieser Neiden in seinem eiförmigen Schädel, habe ich nicht die geringsten Zweifel an Ihrem Erfolg. Ich wünsche, daß die Patienten Ihnen auch weiterhin ihr Vertrauen entgegenbringen. Sie haben es sich verdient.
Leben Sie wohl, Victoria, gehen Sie mit erhobenem Kopf durch die Welt und gehen Sie vor allem Ihren Weg. Sie werden das schon machen, Sie sind eine beeindruckende Frau. Und jetzt, wo Ihnen der Klotz nicht mehr am Bein hängt, können Sie auch endlich nach vorne schauen und mit Taisi ins ›Haus des Glücks‹ einziehen, wie Sie es gerne nennen. Er liebt Sie, und Sie lieben ihn – das kann selbst ein blinder Narr wie ich erkennen. Ich wünsche Ihnen beiden von ganzem Herzen den Segen eines Höheren.
In aufrichtiger Freundschaft,
Ihr Friedrich von Kolle.
PS : Ich wünsche ausdrücklich keine Sektion! Die Todesursache ist eine Überdosis Chloral, das können Sie so in den Totenschein schreiben, Wilhelm. Ich will auf gar keinen Fall, daß dieser nichtsnutzige Kurpfuscher mit seinen beiden linken Händen meinen Leichnam verunstaltet. Außerdem bin ich frisch gewaschen, rasiert und die Kleidung ist ordentlich. Es besteht also keine Notwendigkeit für dieses rituelle Brimborium. Rechnen Sie dies einfach meiner Eitelkeit an.
2 . PS : Wenn Sie die Güte hätten, mit der Beisetzung bis Sonntag zu warten. Abgesehen von der Einfachheit, daß sonntags ohnehin alle zur Kirche gehen und man die Meute für die Beerdigung nicht erst zusammentrommeln muß, möchte ich unbedingt ausschließen, daß ich mich doch in der Dosis geirrt habe und aufwache. In meinem Alter wäre es unpassend, aus dem Sarg heraus den Auferstandenen zu spielen.
3 . PS : Vielleicht bewahren Sie dieses Schreiben noch ein paar Tage lang auf – nur so aus Sentimentalität. Sie glauben nicht, wie mühsam es war. Es würde mich freuen, wenn es nicht sofort im Feuer landete.«
Victoria ließ den Brief sinken und wischte sich die Tränen von der Wange. Gleichzeitig war sie wütend. Wie konnte Friedrich es wagen, sich einfach so davonzustehlen? Sie allein zu lassen mit diesem Doktor Neiden, mit dem sie eine Auseinandersetzung nach der anderen hatte, wobei es meist um Kleinigkeiten, Eitelkeiten und Kompetenzgerangel ging? Sie brauchte einen Freund, bei dem sie abends ihr Herz ausschütten konnte. Und was tat Friedrich? Er nahm Chloral und zog sich aus der Affäre. Sie sah ihn vor sich, wie er in seinem Sessel saß, zurückgelehnt mit der Pfeife in der Hand und seinem typischen, schiefen Lächeln, und sagte:
»Sehen Sie, das haben Sie von Ihrem Wunsch nach einem Nachfolger.«
In diesem Augenblick ließen ein gellender Schrei und lautes Gepolter sie zusammenfahren.
Der Lärm kam aus der Küche, und Victoria war so schnell dorthin geeilt, wie sie es nie für möglich gehalten hätte.
»Johanna!«
Das kleine Mädchen saß vor dem Herd und schrie aus Leibeskräften. Die Pfanne lag auf dem Boden, die Eier hingen in Johannas Haaren und klebten auf ihrem Kleidchen. Auf ihrer Handfläche bildete sich eine große Brandblase.
Victoria hob das Kind hoch und tauchte die Hand in den Wasserkrug. Dann zerrte sie ein sauberes Geschirrtuch aus dem Schrank, durchtränkte es ebenfalls mit Wasser und band es dem Kind um.
»Jetzt reicht es mir aber!«, schluchzte sie und sank kraftlos auf den Küchenboden,
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