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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Winkler
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so weit sein würde«, sagte er. »Sie wussten es, und ich wusste es schon seit Jahrzehnten. Jetzt …« Seine Stimme brach.
    Victoria strich ihm über die Wange und wischte ihm mit dem Handrücken eine Träne vom Gesicht.
    »Jetzt ist es wohl so weit«, sagte er. Das Lächeln misslang. Sein Kinn zitterte.
    »Soll ich den Patienten sagen, dass die Praxis heute geschlossen bleibt, weil Sie sich nicht wohl fühlen?«
    »Kommt nicht in Frage, wir machen weiter wie bisher. Es ist nicht so, dass es mich wie ein Blitz aus heiterem Himmel trifft oder ich mich gerade noch der Sehkraft eines Adlers hätte rühmen können.« Er schüttelte heftig den Kopf. »Nein, nein, nein. Meine Lage ist kaum eine andere als gestern. Mit dem Unterschied, dass auch noch die letzten Schatten und Lichtpunkte verschwunden sind. Na und? Bin ich deswegen etwa ein anderer Mensch? Oder habe ich meine diagnostischen Fähigkeiten eingebüßt? Nein. Also fahren wir fort wie bisher. Schlimmer kann es ohnehin nicht mehr werden. Und auf Ihr Mitleid kann ich gut und gerne verzichten, dass Sie es nur wissen!«
    Er sah sie zornig an. Sein Starrsinn, sein Temperament hatten sich nicht geändert. Nur der Anblick seiner Augen mit den geweiteten Pupillen war schwer zu ertragen.
    »In Ordnung, Friedrich, es ist Ihre Entscheidung. Das Frühstück steht in der Küche bereit. Und bitte beeilen Sie sich, der erste Patient kommt um neun.«
    »Ja, ja. Machen Sie ruhig so weiter, dann wird aus Ihnen noch ein gestandener Feldwebel.«
    »Beschweren Sie sich nicht«, konterte Sie. »Ich habe bei Ihnen eine erstklassige Ausbildung durchlaufen.« Etwas erleichtert verließ sie den Raum. Wenn Friedrich wütend war, versank er wenigstens nicht in Selbstmitleid. Das war etwas, wovor sie am meisten Angst gehabt hatte. Und soviel sie wusste, er ebenso.
    Ich muss Wilhelm Bescheid geben,
dachte sie und ging die Treppe zur Praxis hinunter, um das Untersuchungszimmer für die Sprechstunde vorzubereiten.
Er muss nach Berlin schreiben und um eine beschleunigte Bearbeitung der Anfrage nach einem Nachfolger bitten. Und die Patienten? Entweder sie akzeptierten einen blinden Arzt mit Assistentin oder sie würden sich nach Tonga zu dem britischen Arzt bequemen müssen.
     
    Apia, 20 . Juli 1901
     
    Friedrichs Nachfolger ist da. Er kam vor einer Woche mit dem Schiff hier in Apia an, rechtzeitig zur Einweihung des Krankenhauses. Sein Name ist Wolfgang Neiden. Er ist Ende zwanzig, und die einzige Qualifikation, die er mitbringt, sind neben dem bestandenen Staatsexamen an der Universität Leipzig zwei Jahre Tätigkeit auf einer internistischen Station an der Berliner Charité. Ansonsten scheint er ein von sich überzeugter Mann zu sein. Was er hier auf Samoa verloren hat, ist mir ein Rätsel. Ich vermute, daß ihn eine dieser Postkarten, die von den Soldaten gern nach Hause geschickt werden, hierhergelockt hat. Eine, auf der Samoanerinnen abgebildet sind, die nichts außer großen Blumenketten tragen. Doktor Neiden stolziert den ganzen Tag herum, doziert über die rückständige Medizin hier bei uns und was sich unter seiner Leitung alles ändern wird in der nächsten Zeit, und schaut den samoanischen Mädchen nach. Mich schickt er hin und her – holen Sie dies, Schwester, holen Sie jenes, Schwester, binden Sie mir die Ärmel hoch, Schwester. Wörter wie »bitte« und »danke« kommen in seinem Wortschatz nicht vor. Friedrich leidet unter seiner Anwesenheit. Ich sehe es ihm an. Er wirkt grau und eingefallen und ist ungewöhnlich still. Ich mache mir große Sorgen um ihn. Dabei wäre jetzt der Zeitpunkt gekommen, wo er sich endlich bequem in seinem Sessel auf der Veranda zurücklehnen, Rum trinken, ein Pfeifchen rauchen und die Früchte seiner Arbeit genießen könnte.
    Das Krankenhaus, das innerhalb kürzester Zeit, zum größten Teil nach Friedrichs Plänen und Vorschlägen, errichtet wurde, ist wunderbar. Wir haben jetzt ein Untersuchungszimmer für die ambulanten Patienten und einen deutlich vergrößerten Wartebereich. Außerdem verfügt das Krankenhaus über einen Operations- und Kreißsaal, einen Vorratsraum für die medizinischen Materialien und Instrumente, drei große Krankenzimmer und eine kleine Apotheke, in der wir Arzneien aus den Rohstoffen selbst herstellen können. Wir werden in Zukunft sogar die Kapazitäten haben, Samoaner aufzunehmen. Auch personell haben wir uns vergrößert – es sind noch zwei weitere Krankenschwestern eingetroffen und ein junger Apotheker aus

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