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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Winkler
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das weinende Kind drückte sie dabei fest an sich. »Haus des Glücks? Dass ich nicht lache!«
     
    Apia, 12 . Oktober 1901
     
    Friedrich wurde vor drei Tagen beigesetzt. Wie er es sich gewünscht hatte, fand die Trauerfeier am Sonntag statt. Die Kirche war so voll, daß viele Leute draußen stehen mußten, aber der Pfarrer ließ die Türen offen, so daß alle daran teilnehmen konnten. Selbst Doktor Neiden war da. Man sagt, es sei ein bewegender Gottesdienst gewesen. Ich muß gestehen, daß ich nicht viel davon mitbekommen habe, obgleich ich direkt vor dem Altar in der ersten Reihe saß. Ich habe die ganze Zeit auf den Sarg gestarrt. Und ich habe an John gedacht, und an meinen Vater.
    Jetzt, drei Tage später, beginnt allmählich wieder der Alltag. Die Kinder gehen in die Schule, sie brauchen ihr Frühstück, ihr Mittag- und Abendessen, ich muß sie anziehen und ins Bett bringen. Diese Routine hält mich in Gang. Denn sobald ich zur Ruhe komme, beginne ich zu denken – an die Stunden mit Friedrich auf der Veranda, an die Zeit mit ihm in der Praxis. Dann höre ich seine Stimme, seine klugen und bissigen Kommentare zum Weltgeschehen, seine Provokationen und Sticheleien, hinter denen er gekonnt seine Herzlichkeit und Zuneigung verbarg. Und ich möchte ihm ein Glas Rum einschenken und eine Pfeife stopfen.
    Ich weiß noch nicht, wie es mit mir weitergeht. Friedrich hatte recht. Ich liebe Taisi, ich liebe ihn von ganzem Herzen. Wir werden bald heiraten. Aber wo werden wir wohnen? In Apia oder in Tanugamanono? Und was soll ich tun? Soll ich eine eigene Praxis eröffnen oder weiter im Krankenhaus arbeiten? Doktor Neiden braucht mich nicht wirklich. Er hat genug Hilfe. Mutter bittet mich schon seit zwei Jahren darum, nach Hamburg zurückzukehren. Sie fühlt sich einsam und möchte ihre Enkel sehen. Mutter kann nicht verstehen, daß dieser Vorschlag nicht zu meinen Plänen und Vorstellungen paßt. Aber sie weiß auch nicht von Taisi oder davon, daß wir heiraten werden. Wenigstens noch nicht. Ich habe immer noch nicht gewagt, es ihr zu schreiben. Selbst Johanna zeigte sich schockiert, als ich ihr in einem Brief von unseren Plänen berichtet habe. Zum Glück hat sie mir trotzdem versprochen, Mutter zur Seite zu stehen, wenn sie die Wahrheit erfährt. Ich vermute, die Ankündigung, daß ihre ohnehin fehlgeratene Tochter beabsichtigt, sich mit einem »Eingeborenen« zu vermählen, würde ihr einen schwerwiegenden Schock versetzen. Doch selbst wenn es Taisi nicht gäbe, würde ich Samoa nicht verlassen wollen. Die üppigen Regenwälder, die weißen Strände, das türkisblaue Meer würden mir fehlen. Und ich kann mir nicht vorstellen, daß ich angesichts eines Hamburger Novemberregens jemals wieder Heimatgefühle entwickeln könnte. Mein Zuhause ist jetzt hier. Und nirgendwo anders auf der Welt möchte ich sein.

23
    Frühjahr 1908
    V ictoria lag am Strand. Die Morgensonne schien ihr ins Gesicht und trocknete das Salzwasser auf ihrer Haut. Neben ihr lag Taisi. Sie hatten gebadet, waren gemeinsam in dem warmen kristallklaren Wasser zu einem kleinen Felsen geschwommen. Dort hatten sie sich geliebt, während unter ihnen Schwärme buntschillernder Fische dahinzogen, ungestört von ihren Bewegungen, deren Rhythmus sie den Wellen des Meeres angepasst hatten. Sie lächelte bei dem Gedanken daran.
    In einer der letzten Zeitungen hatte sie von dem Echo gelesen, das die sogenannte Freikörperkultur in Deutschland auslöste. Viele waren fasziniert, manche witterten einen Skandal. Victoria konnte es sich nicht vorstellen, ohne Kleidung in die kalte Ost- oder Nordsee zu springen und sich anschließend von der steifen Brise trocknen zu lassen. Hier war es anders. Dies hier war das Paradies. Da spielte es keine Rolle, wenn man nackt nebeneinander im Sand lag. Noch dazu als Ehepaar.
    Sie hatten vor einem halben Jahr geheiratet, sowohl nach deutschem als auch nach samoanischem Brauch. Seither lebten sie zusammen in Taisis Heimatdorf Tanugamanono im Landesinneren, wo sie eine kleine »Urwaldpraxis« betrieb, wie sie selbst es nannte. Sie behandelte dort die Samoaner. Nach einiger Zeit war es ihr sogar gelungen, das Vertrauen der weisen Frau zu erwerben. Sie hatte die alte Frau um ihre Hilfe und ihren Rat gebeten und dabei einiges über die Kräuter und Arzneipflanzen ihres Landes erfahren. Ohne magischen Hokuspokus waren es überaus wirksame Arzneien, die zudem noch jederzeit verfügbar waren. Die Arbeit im Krankenhaus hatte sie weitgehend

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