Haus des Glücks
ein großes Wassergefäß und eine Schale aus polierter Kokosnuss. Erstaunt wollte Victoria fragen, was das zu bedeuten habe, doch John war fort, die Hütte war leer. Als sie sich umdrehte, sah sie ihn weit entfernt am Strand entlanggehen. Er wandte sich um und winkte ihr zu, dann war er verschwunden, und sie war allein in dem Fale.
»Talofa.«
Vor ihr stand Taisi. Woher er kam und wie er sie gefunden hatte, war ihr ein Rätsel.
»Talofa«, erwiderte sie seinen Gruß. »Woher …«
»Der Doktor sagte, dass du am Strand bist. Und dass du mich sprechen möchtest.«
»Was …«
Zweifel trat in seine dunklen Augen. »Nein?«
Victoria schluckte. Sie war nicht sicher, ob es ihr gefiel, wie ihr das Heft aus der Hand genommen wurde. Wieder einmal. Friedrich war manchmal unglaublich.
»Doch, aber …« Sie schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, es hat keinen Sinn, sich über Friedrich aufzuregen.«
»Er ist ein weiser Mann«, sagte Taisi leise. »Er sieht mehr als andere.«
Sie versank fast in seinen Augen. Aber was sollte sie sagen? Sie konnte ihm doch nicht ihre Liebe gestehen oder ihm gar einen Antrag machen. Sie war eine Frau und sich seiner nicht einmal sicher. Es war nur ein Gefühl, kaum mehr als eine Ahnung, dass er ähnlich empfand wie sie. Und wenn sie sich irrte? Es war die passende Gelegenheit, sich Klarheit zu verschaffen. Aber wie, ohne dabei das Gesicht zu verlieren?
»Ich bin frei«, sagte sie schließlich, weil ihr nichts Besseres einfiel.
»Dein Mann?«, fragte Taisi nach einer Weile. »Die Trauer?«
Sie nickte.
Eine Weile betrachtete er sie forschend, dann breitete sich ein warmes Lächeln auf seinem Gesicht aus. Er streckte seine Hand aus, legte sie ihr auf die Wange und fuhr zärtlich mit dem Daumen über ihre Augenbraue.
»Ou te alofa in te oe.«
Seine Stimme und die halb geflüsterten Worte flossen über sie hinweg wie ein warmer Regenschauer.
»Ich dich auch.«
Dann küsste er sie, ganz sanft, vorsichtig. »Erweist du mir die Ehre, meine Frau zu werden?«
Victoria schnürte es fast die Kehle zu. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie sehr sie sich danach gesehnt hatte. Schon seit Wochen, seit Monaten. Woher hatte Friedrich das gewusst? Und wie hatte er wissen können, dass sie jetzt bereit war?
»Ja, aber …«
»Du musst auf den Doktor aufpassen, ich weiß«, sagte Taisi und sah sie mit seinen sanften dunklen Augen an. »Aber ich kann warten. Ich habe keine Eile.« Er küsste sie wieder, dann ging er davon.
Victoria sah ihm nach. Ihr Herz schlug heftig, ihre Wangen brannten vor Aufregung und Freude. Sie dachte wieder an ihren Traum. Sie war froh und erleichtert. Weil sie jetzt wusste, dass John einverstanden war.
Victoria warf einen Blick zur Uhr. Es war bereits nach acht, und Friedrich war noch nicht zum Frühstück erschienen. Meist war er pünktlich.
Als er fünf Minuten später immer noch nicht da war, beschloss sie, zu seinem Zimmer zu gehen. Sachte klopfte sie an die Tür.
»Friedrich?«
Sie hörte sein Bett knarren und öffnete.
»Guten Morgen«, sagte sie und lächelte. »Sie haben verschlafen!«
Er stützte sich auf die Ellbogen und rieb sich das Gesicht. »Wie spät ist es denn?«
»Gleich halb neun. Die ersten Patienten machen sich schon auf den Weg.«
»Oje, da ist meine Uhr offenbar stehengeblieben. Aber weil es noch so dunkel ist, dachte ich, dass es noch mitten in der Nacht sein muss.«
Victoria sah zu dem Eckfenster, durch das die Morgensonne ungehindert in das Zimmer flutete. Sie hatte am Abend vergessen, die Fensterläden zu schließen. Dann schaute sie zu Friedrich, der sich in seinem Bett aufsetzte und mit der rechten Hand nach dem Stuhl mit seiner Kleidung tastete, und ihr Herz setzte für ein paar Schläge aus.
»Stimmt etwas nicht, Victoria? Sie sind so still.«
Sie presste die Lippen aufeinander, trat zu ihm ans Bett, kniete sich vor ihm auf den Boden und ergriff seine Hand. »Friedrich …«
Er hob seinen Kopf. Für einen kurzen Augenblick flammte jähe Panik auf seinem Gesicht auf. »Was …« Er schluckte. »Es ist hell, nicht wahr?«, fragte er mit rauher Stimme. »Die Sonne scheint ins Zimmer?«
Victoria nickte. »Ja«, sagte sie leise und streichelte seine Hand. »Es tut mir so leid!«
Er begann heftig zu atmen, seine Hände ballten sich, er stöhnte, biss die Zähne zusammen, schlug sich mit der flachen Hand mehrmals gegen die Stirn, schrie einmal auf. Schließlich entspannte er sich wieder. »Uns war doch klar, dass es eines Tages
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