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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Winkler
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Magdeburg, und wir haben Samoanerinnen, die gegen ein Handgeld Essen kochen und die Zimmer putzen. Das Beste aber ist die Ausstattung. Sie ist ein Traum! Alle Instrumente und Geräte sind nach neuestem medizinischem Standard. Wilhelm konnte sogar ein Röntgengerät beschaffen. Wie er das angestellt hat, kann ich nicht beurteilen, aber er hat offenbar alle Beziehungen spielen lassen, die er hat. Er ist wirklich unglaublich. Sein nächstes Projekt ist der Bau einer Schule – worüber übrigens weder Alexander noch Konstantin begeistert sind.
    Das neue Krankenhaus ist kein Vergleich zu unserer kleinen, provisorischen Praxis. Und doch hat Friedrich gerade dort Großartiges geleistet. Und statt daß ihm vor Stolz über sein Lebenswerk die Hosenträger platzen, sitzt er in seinem Sessel und denkt über etwas nach. Wenn ich nachhake und wissen möchte, was ihn beschäftigt, weicht er mir aus. Das macht mir Sorgen.
     
    Victoria stand in der Küche und sah auf die Uhr. Es war nach acht. Die Kinder waren bereits in der Schule beim Unterricht, Johanna spielte auf dem Küchenboden mit Bauklötzen. Das Frühstück war fertig, die Eier wurden allmählich in der Pfanne kalt.
Wo blieb Friedrich? Ob die Uhr in seinem Schlafzimmer stehengeblieben war? Aber nein, sie hatte sie eigenhändig aufgezogen, gestern Abend. Verlor man vielleicht das Zeitgefühl, wenn man hell und dunkel nicht mehr unterscheiden konnte?
Sie setzte sich auf einen Küchenstuhl und nahm den Bauklotz, den Johanna ihr reichte, um ihn auf dem Turm zu plazieren.
    Ihre Handflächen waren feucht. Sie war unruhig. Nervös. Sie stand auf und wischte sich die Hände an der Schürze ab. »Mama ist gleich wieder da«, sagte sie zu ihrer kleinen Tochter und verließ die Küche.
    Sie klopfte an Friedrichs Zimmertür, lauschte. Da war nichts zu hören. Kein Schnarchen, nicht das Knarren des Bettgestells, nichts. Vorsichtig öffnete sie die Tür. Das Fenster stand offen. Seit hell oder dunkel für ihn keine Rolle mehr spielten, bat er sie, die Fensterläden nicht zu schließen, damit der Wind ungehindert hereinwehen konnte. Sie trat ein.
    Friedrich lag auf dem Rücken auf seinem Bett, vollständig angekleidet.
    Sachte ging Victoria näher. Sein Gesicht war von einer wächsernen Blässe, die Augen geschlossen. Vorsichtig ergriff sie seine rechte Hand. Sie war kalt. Eiskalt. Obwohl sie es bereits wusste, prüfte sie seinen Pulsschlag, seine Atmung. Da war nichts mehr.
    Mit einem Seufzer ließ sie sich auf das Bett sinken und betrachtete das Gesicht des alten Arztes. Das Haar war gekämmt, das Kinn war glattrasiert, abgesehen von einer kleinen Schnittverletzung unter dem linken Mundwinkel. Er musste sich gestern Abend noch rasiert und dabei geschnitten haben. Das kam oft vor. Kein Wunder, wenn man mit scharfen Messern hantierte und sich dabei nicht sehen konnte. Sie bot ihm immer wieder an, ihn zu rasieren, aber er wies sie zurück.
»Und als Nächstes werden Sie mich noch füttern wollen. Nein, danke!«,
sagte er immer.
Hatte
er gesagt.
    Sie seufzte erneut. Dann wanderte ihr Blick zum Nachttisch. An der Lampe lehnte ein Briefumschlag, auf dem in schiefen, krakeligen Buchstaben ihr Name stand, daneben standen ein Glas und ein Kästchen Chloral. Die Päckchen waren leer. Ebenso das Wasserglas, an dessen Rand noch Pulverspuren zu sehen waren.
    Victoria schluckte und fragte sich, ob es vorauszusehen gewesen war, dass Friedrich sich zu solch einem Schritt entschlossen hatte. Und ob sie es hätte verhindern können. Irgendwie. Traf sie eine Schuld?
    Endlich öffnete sie den Brief. Die Schrift war kaum krakelig, aber manche Buchstaben und Zeilen überschnitten sich, so dass sie nur schwer zu entziffern waren. Und doch erkannte sie sofort die charaktervolle Handschrift des Doktors.
     
    »Meine verehrte Victoria und alle, denen Sie diesen Brief zum Beweis meiner Zurechnungsfähigkeit zeigen werden!
    Hiermit erkläre ich, daß ich freiwillig und im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte aus diesem Leben geschieden bin.
    Ich habe mich zu diesem Schritt entschlossen, weil mir der Gedanke an meinen Nachfolger unerträglich ist. Für uns beide gibt es keinen Platz auf dieser Insel. Und da man alte Bäume nicht verpflanzen soll, habe ich beschlossen, lieber gefällt zu werden, als Samoa zu verlassen. Ja, ich gebe es zu, es ist verletzter Stolz. Aber ich habe nicht damit gerechnet, daß ausgerechnet so ein arroganter, eingebildeter Fatzke wie Doktor Neiden sich zum ärztlichen Dienst in Apia

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