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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Winkler
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blättern, das vorne im Flugzeug ausgelegen hatte: Mode, die keine normale Frau tragen konnte, Möbel, für die man einen Kredit hätte aufnehmen müssen, und ein Psychologie-Artikel über das Thema »Wie bekomme ich den Mann, der mir zusteht«. Nichts davon hatte mit ihr zu tun. Also stopfte sie das Magazin in das Gepäcknetz und griff in ihre Tasche, um den Reiseführer über Samoa herauszuholen, den sie bereits zweimal gelesen hatte. Sobald sie die Fotos von den weißen Stränden, den sich im Schatten der Palmen duckenden Fales oder den schmalen Fischerbooten mit den Auslegern auf dem türkisblauen Wasser sah, musste sie an Victoria denken, ihre Ururgroßmutter. Sie war auch dort gewesen, sie war barfuß über den Sand gelaufen, hatte den Wind auf ihrer Haut gespürt und in Bananenblättern gegartes Schweinefleisch gegessen. Ob sie auch die Bucht finden würde, von der sie in ihrem Tagebuch berichtet hatte? Und wie würde es dort heute aussehen? Der Reiseführer hatte betont, dass Samoa wegen seiner Lage, Größe und der Erreichbarkeit vom Massentourismus verschont geblieben war. Trotzdem konnte in der idyllischen Bucht von Victoria und Taisi jetzt ein Hotel stehen oder ein Surfclub, eine Tauchschule oder ein Wellness-Resort. Sie würde es herausfinden. Bald.
    Julia stellte ihre Sitzlehne flach, nahm sich die Nackenrolle, schloss die Augen und begann vom Südpazifik zu träumen.
     
    Auf dem Flughafen von Los Angeles mussten sie zwei Stunden auf ihren Anschlussflug nach Apia warten. Marco nutzte die Zeit, um auf der Herrentoilette zu verschwinden und sich mit einem der elektrischen Rasierapparate zu rasieren.
    »Wie lange sind wir noch unterwegs?«, fragte er, als er zurückkam. Er sah blass und müde aus, zerknittert. Sein Gesicht war zerschunden. Offenbar waren die Klingen des Rasierers stumpf, vielleicht aus Sicherheitsgründen. Am liebsten hätte Julia sein Gesicht in ihre Hände genommen und seine gereizte Haut gestreichelt. Aber sie traute sich nicht. Es war schon lange her, dass sie solche Zärtlichkeiten ausgetauscht hatten, und gerade jetzt hatte er schlechte Laune.
    »Sieben Stunden«, sagte Julia. »Um vierzehn Uhr Ortszeit sind wir in Apia.«
    »Großartig. Dann sind wir nur schlappe achtundzwanzig Stunden unterwegs. Das nenne ich einen Kurztrip.«
    »Marco.«
    »Was? Ich verstehe es einfach nicht. Wozu der ganze Aufwand? Vier Tage sind wir unterwegs für einen einwöchigen Aufenthalt auf dieser Insel, während unsere Kinder zu Hause sitzen und von ihrer über achtzigjährigen Urgroßmutter betreut werden.«
    »Marco, das haben wir doch schon alles durchgesprochen.«
    »Trotzdem begreife ich es nicht. In zwei Wochen sind Herbstferien. Wenn es denn unbedingt der Südpazifik sein musste, wieso nicht wenigstens mit den Kindern?«
    »Ich …« Julia seufzte. Wie oft hatte sie bereits versucht, es ihm zu erklären? »Die drei würden sich nur langweilen. Ich will doch nicht am Strand liegen und schnorcheln. Ich möchte meine Verwandten treffen. Und ich möchte herausfinden, wo und wie meine Ururgroßmutter Victoria gelebt hat.«
    »Vor hundert Jahren.« Marco schnaubte verächtlich. »Was glaubst du von ihr zu finden? Ein Denkmal?«
    »Nein, aber mein Urgroßcousin oder … na, ist ja auch egal, aber mein Verwandter hat mir gemailt, dass sie in der Familie noch Fotos, Briefe und ein Tagebuch von ihr haben.«
    »Und wenn du das alles gesehen, gelesen und gehört hast, was ist dann? Wirst du endlich zufrieden sein? Oder was hast du danach vor?«
    »Ich weiß es doch nicht, Marco. Warum bist du eigentlich so sauer?«
    »Warum? Vielleicht weil ich nicht schlafen konnte, da mein Hintermann seine Knie in meinen Rücken gebohrt und mir die Klimaanlage so auf den Nacken geblasen hat, dass ich jetzt kaum noch den Kopf bewegen kann. Mein Schädel platzt, ich würde gerne duschen und an meinem Tisch zu Hause sitzen und einen Kaffee trinken. Aber das geht natürlich nicht. Es geht nicht, weil meine Frau ihren egomanen Selbstfindungstrieb befriedigen muss. Wenn dir das so wichtig ist, von mir aus, fliege in die Südsee. Ich hätte daheimbleiben und mit den Kindern nach Dänemark fahren sollen. Ich glaube, davon hätten wir alle mehr gehabt.«
    »Hol dir doch einen Kaffee.«
    »Bin ich verrückt? Hast du die Preise gesehen? Ich will doch keine Rösterei kaufen! Nee, danke. Da vergeht mir der Durst.«
    Julia sagte nichts mehr. Es hätte ohnehin wenig Sinn gehabt. Wenn Marco schlecht gelaunt war, halfen nur Zähne

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