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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Winkler
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Sie hatten Glück. Dienstags gab es einen Direktflug von L.A. nach Apia, anderenfalls hätten sie erst nach Neuseeland und von Auckland aus weiterfliegen müssen. Sechzehn Stunden. Das war viel Zeit, die sie in wachem Zustand auf kleinstem Raum miteinander verbringen mussten. In den vergangenen Wochen und Monaten war ihr Leben von Alltäglichkeiten bestimmt worden – »Das Auto muss in die Werkstatt« – »Das Zeugnis muss unterschrieben werden« – »Morgen ist Elternabend« – »Übermorgen ist die Besprechung in der Bank, es wird später«. Über Persönliches hatten sie schon lange nicht mehr geredet. Sie hatten festgestellt, dass es stets zu Streit führte, also hatten sie es irgendwann bleiben lassen. Sie saßen an einem Tisch, abends auf verschiedenen Sesseln im gleichen Wohnzimmer, schliefen im selben Bett. Alles, was darüber hinausging … Julia seufzte und nippte an ihrem Tomatensaft.
    Samoa.
    Seit sie wusste, dass sie Verwandte in der Südsee hatte, dass ihre Ururgroßmutter dort gelebt hatte, ihre Oma Lotte dort geboren war und sie selbst samoanische Wurzeln hatte, hatte sie die Insel besuchen wollen. Alles, was es über Samoa und Polynesien zu lesen gab, hatte sie gelesen. Sie hatte sich im Schlafzimmer ein eigenes Regal eingerichtet, das mittlerweile mit Reiseführern, Bildbänden, Märchenbüchern, Kochbüchern und DVDs gefüllt war. Für das Museum für Völkerkunde hatte sie sich eine Jahreskarte gekauft, nur um sich jederzeit die südpazifische Sammlung ansehen zu können. Und sie verbrachte ganze Tage im Internet, um Informationen zu sammeln und ihre samoanischen Verwandten aufzuspüren. Sie hatte einen Freudentanz im Wohnzimmer aufgeführt, als sie das erste Mal eine E-Mail aus Samoa erhalten hatte – ein Lebenszeichen eines entfernten Cousins. Er arbeitete am Krankenhaus in Apia als Chirurg. Ein Zufall?
    Marco hielt das Ganze für eine »fixe Idee«, einen vorgeschobenen Grund, den Haushalt nicht ordentlich zu führen und sich vor jeglicher Verantwortung zu drücken. Und er bekam reichlich Unterstützung – von ihrer Mutter, ihrer Schwiegermutter und ihrer Schwester. Sie alle hatten keine Ahnung, was es für sie bedeutete. Für sie selbst waren ihre polynesischen Wurzeln die Erklärung für die Schwierigkeiten mit Mutter und Schwester und ihr außergewöhnlich herzliches Verhältnis zu Oma Lotte. Mit ihrer Herkunft erklärte sie sich auch das Gefühl, anders zu sein, angefangen mit ihrem Äußeren. Und sie hatte endlich die Erklärung für den beinahe übermächtigen Wunsch, Medizin zu studieren. Eine »Lebensberaterin« hatte ihr vor einigen Monaten die Karten gelegt und ihr eröffnet, dass es ihre Bestimmung sei, Ärztin zu werden. Nach über hundert Jahren war sie auserwählt, endlich Victorias Schicksal zu erfüllen. Marco wusste natürlich nichts davon. Er hätte kaum Verständnis dafür aufgebracht, zu welchen Mitteln sie in ihrer Verzweiflung gegriffen hatte.
    Immerhin sah er in dieser Reise eine Chance, ihre Ehe zu retten. Das hatte sie aber nicht von ihm selbst, sondern von Oma Lotte erfahren. Sie war auch diejenige, die sich sofort bereit erklärt hatte, während ihrer Abwesenheit vierzehn Tage lang ihr Haus und die Kinder zu hüten. Mutter, mit ihrem
»Reiß dich zusammen, damit ihr zusammenbleibt«, »Wozu willst du überhaupt noch studieren, in deinem Alter?«
und
»Was soll der Unsinn mit der weiten Reise?«,
hätte sie kaum ertragen können.
    Sie blickte Marco verstohlen von der Seite an. Er hatte sich in die
Frankfurter Allgemeine Zeitung
vertieft. Sie schauderte, wenn sie daran dachte, dass sie sechzehn Stunden lang nur das Notwendigste reden und sich ansonsten anschweigen würden. Dabei liebte sie ihn immer noch. Sie warf einen Blick auf die Uhr. »Die Kinder kommen jetzt aus der Schule«, sagte sie in den Innenraum des Flugzeugs hinein.
    »Mach dir keine Sorgen. Oma Lotte hat sich doch alles genau aufgeschrieben. Sie wird die Bande pünktlich abholen, und wahrscheinlich steht das Mittagessen schon fertig auf dem Tisch. Oder sie lädt die drei zur Feier des Tages zum Chinesen ein. Auf Oma Lotte ist Verlass!« Er legte tröstend seine Hand auf ihre, und für einen kurzen Augenblick war sie wieder da, die Vertrautheit, die Nähe. Sie schloss die Augen und drückte seine Hand. Wie sehr hatte sie das vermisst! Dann ließ er sie los, griff wieder zu seiner Zeitung und der Moment war vorbei.
    Julia nippte an ihrem Saft und begann, lustlos in einem Frauenmagazin zu

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