Haus des Glücks
viel davon, außer von den Kundgebungen, an denen sich eine Handvoll Männer beteiligte. Man sprach darüber, wie Samoa von Apia anstatt von Berlin aus regiert werden könnte. Aber meist gab es wichtigere Dinge – Fischfang, Geburt, Tod und Feste.
»In Ordnung«, sagte sie und erhob sich. »Ich werde mit meinem Mann sprechen. Ist Ihnen heute Abend bei Sonnenuntergang am Strand beim Fischgiftbaum recht, Wilhelm?«
»Das wäre wunderbar«, antwortete er. »Bitte, Victoria, versuchen Sie, ihn zu überreden.«
Er sah sie fast flehend an. Es schien wirklich sehr dringend zu sein.
»Das werde ich tun«, versprach sie und verabschiedete sich.
Selbstverständlich ging Taisi zu dem Treffen. Als er zurückkehrte, war es schon weit nach Mitternacht. Das Kreuz des Südens stand direkt über dem Berg, dessen Spitze man vom Dorf aus sehen konnte. Victoria wartete vor dem Haus.
Sie setzten sich nebeneinander auf einen Felsen und sahen den Sternen zu, wie sie weiterzogen.
»Seid ihr zu einem Ergebnis gekommen?«, fragte sie nach einer Weile.
»Ich fürchte, eine Auseinandersetzung ist unvermeidbar. Ich habe mit meinem Vetter gesprochen. Die Mau sind nicht bereit, von ihren Forderungen abzuweichen. Die Deutschen müssen ihr Gesicht wahren. Ich habe dem Gouverneur erklärt, wie wir Samoaner Kriege führen.« Er lächelte. »Wir schreien uns an, singen und tanzen. Und erst, wenn keiner der Gegner zurückweicht, greifen wir zu Pfeilen und Speeren. Die Mau haben noch nicht einmal mit dem Gesang begonnen. Er hat noch Zeit.«
»Und was will Wilhelm tun? Ich schätze, dass der General schon sehnsüchtig darauf wartet, die Säbel zu wetzen. Er hatte schließlich lange nichts mehr zu tun.«
»Ich weiß nicht. Er zieht in Erwägung, die Anführer der Mau zu verhaften und sie fortzubringen, um sie vorerst außer Gefecht zu setzen. Natürlich wäre das nicht angenehm, weder für die Gefangenen noch für deren Angehörige. Aber das Militär könnte aktiv sein und der Aufstand wäre beendet, ohne dass jemand sterben müsste. Wilhelm Solf ist ein guter Mann. Er würde für das Wohlergehen der festgehaltenen Mau bürgen. Und wenn einige Zeit verstrichen ist und alle sich beruhigt haben, werden die Männer wieder auf freien Fuß gesetzt.«
Eine Weile schwiegen sie.
»Was denkst du darüber?«, fragte sie.
Taisi wartete mit der Antwort. Das war eine Eigenschaft, die sie besonders an ihm mochte: Er sprach nie, ohne vorher nachgedacht zu haben.
»Der Vorschlag ist vernünftig. Es wäre eine Lösung, von der die meisten profitieren. Samoa ist noch nicht so weit, sich selbst zu regieren. Wenn die Deutschen fortgingen, würden sofort die Amerikaner, Briten oder Neuseeländer in der Bucht von Apia erscheinen und ihren Platz einnehmen, ohne dass wir uns dagegen wehren könnten. Die Deutschen sind freundlich, zumindest die meisten. Das Zusammenleben mit ihnen ist nicht immer einfach, aber in der Regel von Respekt und Höflichkeit geprägt. Ich habe Zweifel, dass es bei den anderen ebenso wäre. Die Zeit der Selbständigkeit Samoas, wenn sich die Träume der Mau erfüllen, mag kommen. Eines Tages. Jetzt noch nicht.«
Victoria sah den Himmel an. Das Kreuz des Südens war klar erkennbar. Sie wusste, dass Taisi recht hatte. Samoas Zeit würde kommen. Eines Tages.
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Julia
24
25 . September 2009
D as Signal für die Anschnallgurte erlosch, die Maschine hatte ihre Flughöhe erreicht. Die Stewardessen begannen mit dem ersten Rundgang.
»Wasser, Kaffee, Tee, Saft?« Das Lächeln der jungen blonden Frau war professionell, freundlich, unverbindlich.
»Einen Kaffee bitte«, sagte Marco. »Möchtest du auch etwas?«
Julia hatte die ganze Zeit aus dem Fenster gesehen.
»Einen Tomatensaft.« Natürlich Tomatensaft. Sie trank niemals Tomatensaft, außer im Flugzeug. Warum auch immer.
Sie bekam ihren durchsichtigen Plastikbecher, Marco seine Plastiktasse mit Kaffee. Er roch angenehm – heiß und stark, und einen Augenblick lang bereute Julia, nicht doch etwas anderes bestellt zu haben. Andererseits mochte sie keinen Kaffee, und der Tee an Bord der Flugzeuge war grauenhaft – mit falsch temperiertem Wasser aufgegossene Beutel minderer Qualität. Da schon lieber Tomatensaft.
Marco riss Zuckertütchen und Milchpackung auf, schüttete den Inhalt in den dampfenden Kaffee und rührte mit einem Plastikstäbchen um. Julia sah erneut aus dem Fenster. Sechzehn Stunden Flug lagen vor ihnen – bis nach Los Angeles, von dort weiter nach Samoa.
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