Haus des Glücks
zusammenbeißen und den Sturm vorüberziehen lassen.
Endlich wurde ihr Flug aufgerufen. Sie sammelten ihre Habseligkeiten ein und machten sich auf den Weg zum Gate.
»Hoffentlich lohnt sich der ganze Aufwand. Wenigstens für dich.«
»Marco, kannst du nicht wenigstens versuchen, dieser Reise etwas Positives abzugewinnen?«
Er zuckte mit den Schultern und zeigte der Stewardess die Bordkarten. »Frag mich auf der Rückreise noch mal.«
Auf dem Flughafen Faleolo wurden sie bereits erwartet. Zwei Angestellte des Hotels, ein junger Samoaner in weißem Hemd und Anzug und eine junge Frau in einem dezenten, cremefarbenen Kostüm, hielten ein Schild mit ihrem Namen und dem Schriftzug des »Coconuts Beach Club Resort« in die Höhe.
»Mr. und Mrs. Sievers?«
»Ja.«
»Talefa. Herzlich willkommen auf Samoa«, der junge Mann verbeugte sich leicht, und die Frau legte ihnen Blumenketten um den Hals. »Mein Name ist Jeff, das ist Mary. Wir werden Sie zum Hotel fahren. Haben Sie Ihr Gepäck? Ist es vollzählig?«
»Ja.«
»Kommen Sie bitte, das Auto steht gleich vor dem Eingang.«
Ganz selbstverständlich nahm er ihren Gepäckwagen. Sie gingen hinter ihm her. Unter normalen Umständen hätten sie diesen Moment genossen und sich darüber amüsiert, dass sie wie zwei VIPs empfangen wurden und ihrem »Kofferträger« hinterherliefen. Doch die Reise steckte ihnen in den Knochen, und normale Umstände gab es zwischen ihnen schon lange nicht mehr. Deshalb trotteten sie einfach nur schweigend hinter den beiden Hotelangestellten her.
Draußen vor der Eingangshalle empfing sie warme, tropisch schwüle Luft. Der Wind rauschte in den Palmen, und Julia konnte das Meer riechen.
»Wie lange dauert die Fahrt bis zum Hotel?«, fragte Marco.
»Etwa vierzig Minuten«, erwiderte der Hotelangestellte, während er ihre Koffer in den Kofferraum des Wagens lud. Es war ein dunkelblauer Mercedes, bestimmt dreißig Jahre alt, aber tadellos gepflegt. Der junge Mann hielt Julia die Tür zu den Rücksitzen auf.
Sie war froh, endlich in dem Auto zu sitzen. Das Ende der Reise, ihr Ziel, rückte näher. Jeff nahm hinter dem Steuer Platz, die Frau setzte sich neben ihn.
Sanft rollte der Wagen über die Zufahrt zum Flughafen auf die Straße. Marco unterhielt sich mit den beiden Samoanern auf Englisch. Sie sprachen über das Wetter der letzten Tage, die Dauer ihres Fluges, den aktuellen Wechselkurs und andere Banalitäten, als wäre er aus freien Stücken nach Samoa gekommen und hätte nie schlechte Laune gehabt. Unterdessen konnte Julia sich an der Landschaft nicht sattsehen.
Es war eine Symphonie der Farben: Palmengesäumte, weiße Strände huschten an ihr vorbei und Lagunen, deren Wasser einen Farbton hatte, für den es kein Wort gab, mit dem man es hätte beschreiben können – irgendetwas zwischen Grün, Türkis und einem leuchtenden Blau. Händler boten an der Straße auf Holzgestellen verlockend aussehendes Obst, Gemüse, farbenprächtige Blumen, bunte Muscheln und Postkarten feil. Dann bogen sie in das Landesinnere ab, vorbei an den mit sattgrünem Regenwald bedeckten Berghängen. Wie lange hatte sie darauf gewartet, das alles mit eigenen Augen zu sehen! In Wirklichkeit war es noch viel schöner als in ihren Reiseführern und Bildbänden. Und doch befielen sie jetzt auch Angst und Zweifel.
Was, wenn sie nichts über ihre Großmutter herausfand? Wenn die Familie, ihre Verwandten, sie nur ausnutzen wollten? Und wenn sie feststellen musste, dass sie eigentlich hierhin gehörte und nicht nach Europa? Wenn sie merkte, dass dies ihre »Seelenheimat« war? Die Lebensberaterin hatte sie gewarnt.
»Wann triffst du dich mit deinem Verwandten?«, fragte Marco, als hätte er zumindest einen Teil ihrer Gedanken erraten.
»Welches Datum haben wir heute?«
»Ich muss mich erst erkundigen.« Marco gab die Frage an den Hotelangestellten weiter. »Wir sind so lange und über so viele Zeitzonen geflogen, dass ich den Überblick verloren habe.«
»Das passiert fast allen Europäern«, erwiderte der junge Samoaner. »Heute ist der fünfundzwanzigste September.«
»Danke. Der Fünfundzwanzigste? Morgen. Am Sechsundzwanzigsten sind wir um zwölf Uhr zum Mittagessen im
Aggie Grey’s Hotel
in Apia verabredet.«
»Und wer kommt?«
»Das kann ich dir jetzt nicht sagen.«
»Aber du bist sicher, dass wir keinem Hochstapler auf den Leim gehen?«
»Natürlich. Dieser Mann ist Victorias Urenkel. Aber den Namen kann ich mir nicht merken, deshalb habe ich ihn
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