Haus des Glücks
konnte.
»Wir müssen beten«, sagte Linda und nahm die Hände ihres Mannes.
Er nickte. Julia konnte kaum atmen. Sie klammerte sich an Marco fest. Vor dem Krankenhaus hielten Rettungswagen mit heulenden Sirenen. Sanitäter sprangen heraus und schoben eine Trage nach der anderen aus den Wagen
. Aber was war das? Träumte sie? Sie erkannte einen schwarzen Neoprenanzug. War es ein Taucheranzug oder der eines Surfers? Blondes Haar.
»David!«
Linda schlug die Hände vor das Gesicht. Steve riss sich von ihr los, doch eine Krankenschwester hielt ihn energisch zurück.
»Bleiben Sie ruhig! Sie können ihm jetzt nicht helfen. Lassen Sie die Ärzte ihre Arbeit tun.«
Krankenpfleger und Ärzte eilten den Sanitätern entgegen, auch Victor und Ajona waren dabei. Sie schoben die Trage an ihnen vorbei in die Notaufnahme, und Julia konnte einen kurzen Blick auf ein bleiches schmales Gesicht unter einer Sauerstoffmaske erhaschen. Es war wirklich David.
»Wo können wir auf die Untersuchungsergebnisse warten?« Marco schien als Einziger von ihnen einen kühlen Kopf zu bewahren.
»Sind Sie Angehörige?«, erkundigte sich die Krankenschwester.
»Freunde.«
»Kommen Sie mit.«
Sie folgten ihr in einen kleinen Warteraum mit fahlgelben Plastikstühlen. Die meisten waren besetzt mit Männern und Frauen. Ein Blick in deren bleiche, ängstliche Gesichter spiegelte die eigenen Sorgen. Die Zeit kroch im Schneckentempo voran. Marco besorgte Tee und Kaffee, hielt Julias kalte Hand, tröstete Steve und Linda. Er war wundervoll.
Eine Stunde später kam eine Schwester in den Raum. »Wer gehört zu dem Taucher?«
Steve sprang auf, als wäre er gestochen worden. »Wir!«
»Kommen Sie mit. Er wurde auf die Intensivstation verlegt.«
»Wie geht es ihm?«
»Das wird Ihnen gleich ein Arzt erklären.«
Wieder saßen sie auf Plastikstühlen. Endlich öffnete sich die Milchglastür, und eine Ärztin im grünen Kittel kam heraus. Es war Ajona.
»Sie gehören zu dem Taucher?«, erkundigte sie sich. Dann fiel ihr Blick auf Julia. »Julia! Das ist eine Überraschung. Du kennst den Mann?«
Sie nickte. Zu mehr war sie kaum fähig.
»Wie steht es um ihn?«, fragte Steve.
»Anfangs sah es kritisch aus. Wir haben überlegt, ihn nach Auckland zu fliegen. Aber er hat sich stabilisiert, es besteht zurzeit keine Lebensgefahr. Möglicherweise haben die Druckunterschiede während der Welle bereits für eine etwas gemäßigtere Dekompression gesorgt. Ansonsten hat er viele Prellungen, Abschürfungen, eine leichte Gehirnerschütterung, zwei gebrochene Rippen und eine komplizierte Radiusfraktur, die noch versorgt werden muss. Wir werden ihn über Nacht auf der Intensivstation beobachten. Und wenn er weiter stabil bleibt, wird er morgen operiert.«
»Wird er wieder gesund?« Lindas Stimme zitterte.
»Für eine Voraussage ist es zwar noch ein bisschen früh, aber ich denke, es gibt Grund zum Optimismus.« Ajona lächelte aufmunternd. »Er hat unglaubliches Glück gehabt. Und eine schützende Hand über sich.«
»Und wird er jemals wieder …« Steve schluckte. »Wird er wieder tauchen können?«
»Wegen der Frakturen wird er einige Wochen aussetzen müssen – falls er nach diesem Erlebnis überhaupt wieder Lust dazu hat.«
»Da kennen Sie David schlecht. Der ist mit Leib und Seele Taucher«, entgegnete Steve. »Außerdem ist er ein Kämpfer.«
»Das sehe ich auch so. Ich habe noch ein paar Fragen. Können Sie mir die beantworten?«
»Gern.« Er fuhr sich durch das kurze braune Haar. Er wirkte müde, erschöpft und um Jahre gealtert.
»Sein vollständiger Name und das Geburtsdatum?«
»David Campbell, 5 . August 1976 .«
»Liegen Krankheiten oder Unverträglichkeiten vor? Allergien? Nimmt er Medikamente?«
»Nein.«
»Wen sollen wir benachrichtigen? Die Eltern?« Sie zögerte kurz. »Oder seine Ehefrau? Seine Freundin?«
Steve schüttelte den Kopf. »Seine Eltern leben in Schottland. Falls nötig, werden wir sie anrufen. Verheiratet ist er nicht, Freundin hat er auch keine. Hier sind wir seine einzigen Angehörigen.«
Täuschte sich Julia oder huschte ein zufriedenes Lächeln über Ajonas Gesicht?
Flossen und Kiemen.
»Wann dürfen wir zu ihm?«
»Jetzt. Aber nur kurz. Er hat Schmerz- und Beruhigungsmittel bekommen und erhält Sauerstoff über eine Maske. Er wird also nicht viel sprechen können. Aber ich denke, er wird froh sein, dass auch Sie den Tsunami gesund überstanden haben.«
29
2 . Oktober 2009
D rei Tage später
Weitere Kostenlose Bücher