Haus des Todes
draufgehen können«, sage ich.
»Ich wünschte, es wäre so gewesen.«
Ich nicke. Es geht mir genauso.
»Du weißt, dass sie nur ein paar Monate im Knast gesessen hat?«, fragt er.
»Ich weiß«, sage ich.
»Das ist keine sehr harte Strafe«, sagt er.
»Absolut nicht.«
»Sie hätte mehr dafür kriegen sollen.«
»Man hätte sie nie wieder freilassen dürfen«, sage ich.
»Das hier, mit ihr hat das alles angefangen. Es wäre nicht richtig, wenn sie ungeschoren davonkommen würde.«
»Ganz genau«, stimme ich zu.
»Die Dinge müssen wieder ins Gleichgewicht gebracht werden, Theo.« In diesem Moment klingelt eines der Handys. Ich senke den Blick. Es ist Stantons Handy. »In unserem Job«, sagt Schroder, »erleben wir die abscheulichsten Sachen.«
»Ja.«
»Mein Gott«, sagt er und legt den Kopf in den Nacken. Für ein paar Sekunden starrt er die Decke an, und als er mich wieder anschaut, habe ich das Gefühl, er kämpfe gegen seine Tränen an. »Ich werde nicht …«, sagt er, dann schüttelt er den Kopf, »Ich könnte nicht. Ich könnte es nicht ertragen, dass noch mehr Kinder sterben. Letzte Weihnacht habe ich mir geschworen, dass in meiner Schicht keine weiteren Kinder mehr sterben«, sagt er, und ich weiß, dass er erneut jenen Moment durchlebt, als er wieder mal die schreckliche Erfahrung machen musste, dass ein Kind getötet wurde. »Damals in der Badewanne, als ich fast ertrunken bin, ich hätte damals den Dienst quittieren sollen. Ich hätte alles hinschmeißen sollen.«
»Carl …«
»Keine toten Kinder mehr«, sagt er. »Kein einziges mehr.«
Das Telefon klingelt immer noch. Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Dreißig Minuten sind jetzt um. Ich schüttle den Kopf, und Schroder nickt. Er lächelt. Ein sehr, sehr trauriges Lächeln, und dann kommen ihm die Tränen, nur ganz wenige. »Nicht in meiner Schicht«, sagt er und lächelt noch mehr. »Gib mir das Handy«, sagt er.
»Warum?«
»Weil die Dinge aus dem Gleichgewicht geraten sind, Theo. Darum. Gib mir das Handy.«
Ich reiche es ihm. Er schaut es einen Moment an, als hätte er vergessen, wie man es benutzt. Im Display leuchtet die Nummer des Anrufers auf. »Vier Minuten lang war ich tot«, sagt er. »Vier Minuten, und da war nichts, gar nichts. Wenn diese Kinder sterben, kommen sie nicht an einen besseren Ort. Wir möchten das gerne glauben, aber das stimmt nicht. Das Einzige, was uns erwartet, ist ein gigantisches Nichts.« Er nimmt den Anruf entgegen. »Hier spricht Inspector Detective Carl Schroder«, sagt er ins Telefon, während er sich streckt und sich die Augen reibt. Er hält jetzt seine Pistole so, dass er ein paar Finger frei hat, um sein Schlafanzugoberteil zurechtzuzupfen, so als wollte er darin gleich zu einer Besprechung gehen.
Ich höre Coles Stimme aus dem Lautsprecher. »Wo ist Theodore Tate?«
»Direkt neben mir.«
»Geben Sie ihn mir«, sagt Cole.
»Nein. Ich bin jetzt Ihr Ansprechpartner.«
»Wenn Sie ihn mir nicht geben, werde ich …«
»Halt die Klappe, Caleb. Halt einfach die Klappe und schau dir das hier an«, sagt Schroder und fummelt an den dem Handy herum, schaltet es auf stumm, und einen Moment später kann man auf dem Display sehen, worauf das Telefon gerichtet ist. Nämlich auf meine Füße, dann auf die von Schroder und auf den Türrahmen. Schließlich sieht man, wie Schroders Hand nach dem Knauf greift. Die Aufnahme ist unscharf und verwackelt. Beim Anschauen von Schroders Homevideos muss man sich bestimmt übergeben.
»Carl«, sage ich.
Er schüttelt den Kopf und lächelt immer noch, dann zuckt er die Achseln. »Manchmal müssen anständige Menschen schlimme Dinge tun.«
»Carl …«
»Halt den Mund, Theo. Das ist nicht deine Entscheidung. Du musst nicht damit leben«, sagt er, und ich versuche nicht, ihn aufzuhalten. Ich halte mich zurück und sehe dabei zu, wie er die Schlafzimmertür öffnet und hineingeht. Im Zimmer brennt Licht. Ich kann erkennen, wie Mrs. Whitby sich im Bett aufsetzt. Sie hat den Mund geöffnet und die Augen geschlossen. Auf dem Nachttisch neben ihr steht eine leere Wodkaflasche, und im Zimmer stinkt es nach Alkohol, Zigaretten und Katzenpisse. Sie trägt einen Morgenrock, der vorn über und über mit Flecken übersät ist.
Schroder dreht sich zu mir um. »Ich war es«, sagt er.
»Was?«
»Das mit dem Haftstrafenregister. Ich war es, der Coles Register überblättert hat. Ich meine, ich habe es mir schon angesehen, aber … Scheiße, ich war noch halb
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