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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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die es bedeutete, daß solcher Krempel in sein schönes Haus getragen wurde. Heinrich war beauftragt, Wilma ruhig zu halten, die ununterbrochen schrie, seitdem fremde Männer ihre Spielzeugkiste weggeschleppt hatten. Heinrich hielt Wilma mit der linken Hand fest und mit der rechten seinen ganzen Besitz: Zwischen Büchern, Gebetbuch, Ledermäppchen und Heften hatte er ihn bequem im Schulranzen bergen können. Die Broschüre vom Vater: »Was der Autoschlosser bei der Gehilfenprüfung wissen muß«, Vaters Foto und acht Bildhefte: Phantom, Tarzan, Till Eulenspiegel und Blondi. Und das Foto von der Frau, die früher zwei Zentner gewogen hatte. Villa Elisabeth, die Grotte aus Lavagestein, ein pfeiferauchender Mann im Fenster und im Hintergrund Weingärten. Er war nicht nur erschrocken über die Armut, die sich beim Wegrücken der Möbel, beim Einpacken der Sachen offenbarte, auch über die Schnelligkeit, mit der das Zimmer geleert war: wo das Foto des Vaters, das Kommunionbild gehangen, wo das Büfett und der improvisierte Kleiderschrank gestanden hatten, von einem leichten Staubkranz umrandete, dunkelgelbe Tapetenstücke. Die Mutter fegte den Dreck auf. Scherben und Staubflocken, Papierfetzen und geheimnisvolles schwärzliches Etwas, das aus den Fußbodenritzen zu quellen schien. Der Bäcker prüfte mit mißtrauischer Miene das Alter der Staubkränze um die dunkelgelben Tapetenflecken herum. Die Mutter schluchzte plötzlich, warf die Dreckschaufel hin, und die beruhigenden Armbewegungen des Bäckers, der ihre Schultern, ihren Nacken tätschelte, waren wenig überzeugend. Die Mutter nahm die Dreckschaufel wieder auf,
    und Wilma schrie ununterbrochen hinter ihrer verschwundenen Spielzeugkiste her. »Geh schon mit ihr voran«, sagte der Bäcker, »nimm den Kinderwagen.«
    Das Gesicht des Bäckers war unruhig und unsicher, als wäre er selbst erschrocken über diese Plötzlichkeit, mit der er den Umzug eingeleitet hatte. Um halb fünf hatte er ihre Hände, einen Teil ihres Armes küssen dürfen, und jetzt, kurz vor sieben, war der Umzug schon fast vollzogen, und die Arbeiter hockten unten auf dem Trittbrett des nur zu einem Fünftel gefüllten Autos und pfiffen zum Aufbruch.
    Vage Erinnerungen kamen Heinrich von dem einzigen Umzug her, dessen er
    sich entsann: Kälte, Regen und ein Kinderwagen, die Hände der Mutter, die Brot schnitten, schmutzige Heeresfahrzeuge, ein Kommißbrot, das wie zufällig von einem Fouragewagen fiel. Am deutlichsten entsann er sich des hellgrünen Heereskochgeschirrs, das Gert später auf einer Baustelle stehenließ, und das Erschrecken vor dem amerikanischen Brot, das so weiß war wie Papier. Sieben Jahre wohnte sie jetzt hier. Unendlich lange Zeit; und er kannte jede tückische Stelle des Fußbodens genau, wo man beim Aufwischen achtgeben mußte, um den Putzlappen nicht am splitternden Holz zu zerreißen, er kannte die spröden Stellen, wo das Bohnerwachs, das auf Leos Weisung verschmiert wurde, hoffnungslos aufgesogen wurde, andere, wo es auf dem Lack hielt und nur dünn verstrichen werden mußte. Der Fleck an der Wand war die Stelle, wo das Bild des Vaters gehangen hatte.
    »Los, so geh doch endlich«, schrie der Bäcker. Heinrich ging ein paar Schritte in den Flur hinein, kehrte aber um und sagte: »Vergiß nicht, daß Leo den Radioapparat, die Tasse, die Kanne und den Büchsenöffner von uns hat.«
    »Nein, nein«, sagte die Mutter, und er hörte ihrer Stimme an, daß er Radio, Tasse, Kanne und Büchsenöffner verlorengeben mußte wie Mutters Morgenrock, der ebenfalls in Leos Zimmer hing: rosige Blumen auf schwarzem Untergrund. Frau Borussiak stand an der Treppe und weinte. Sie küßte ihn, umarmte ihn, küßte Wilma, umarmte Wilma und schluchzte leise:
    »Mein lieber Junge, ich hoffe, es wird dir gutgehen.« Der Tischler stand kopfschüttelnd daneben und sagte: »Von einer Sünde in die andere.« Hinter
    gewollt, du hast es gewollt, nicht ich«, und die dunkle Stimme des Bäckers antwortete etwas, das nicht im einzelnen zu verstehen war, aber wenig überzeugend klang. Draußen pfiffen die Transportarbeiter heftiger, und Heinrich trat ans vordere Flurfenster und blickte nach unten. Er konnte in den Lastwagen sehen wie in einen offenen Bauch: Bauch eines häßlichen Ungetüms, das das Lager eines Altwarenhändlers verschlungen hatte: dreckiges, verschlissenes Zeug, angestoßene Möbel, grau durch Ȭ einandergewürfelter Krempel und zuoberst sein Bett, das nach unten gedreht war: grau

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