Haus Ohne Hüter
gestrichene Zimmertür, die ihre Herkunft jetzt erst, wo sie offen dalag, offenbarte: Finanzverwaltung, Zimmer 547. Gert hatte sie eines Abends mitgebracht, auch die vier Klötze, zerschnittene Deckenbalken. Nägel hatte Gert mitgebracht und einen Hammer. In fünf Minuten war das Bett fertig gewesen. »Ist es nicht herrlich, leg dich mal drauf«, und er hatte sich draufgelegt und es bis vor einer halben Stunde herrlich gefunden.
Die Transportarbeiter hockten auf einem Trittbrett, rauchten und pfiffen auf
den Fingern zum Fenster hinauf. »Von einer Sünde in die andere«, hatte der Tischler gerade gesagt, und Heinrich dachte an das Wort, das die Mutter vor zwei Wochen zum Bäcker gesagt hatte, dasselbe Wort, das im Flur an der Wand stand, und er lächelte höhnisch bei der Vorstellung, das man das auch Vereinigung nennen konnte. Die Mutter kam mit dem Kehrblech aus dem Zimmer, sie hatte geweint, und zum erstenmal sah er auf ihrem Gesicht, was er bisher nur bei anderen Frauen gesehen hatte: tiefrote, ganz runde Flecken, und ihr glattes schwarzes Haar war strähnig aufgelöst. Aus dem Gesicht des Bäckers, der neben dem Tischler stand, war der Zorn wieder gewichen, und es hatte eindeutig wieder Gutmütigkeit angenommen.
Heinrich hatte Angst vor gutmütigen Leuten. Sie waren wie die
entgegenkommenden Lehrer, auf die man sich nicht verlassen konnte. Erst waren sie gutmütig, waren es lange, dann wurden sie zornig, und zuletzt wurden sie ratlos und blieben es; zwischen Gutmütigkeit und Zorn schwankend, sahen sie dann plötzlich wie Schauspieler aus, die ihre Rolle vergessen haben.
»Verdammter Bengel«, schrie der Bäcker, »du sollst doch gehen, nimm den
Kinderwagen und hau ab.« »Wie redest du mit dem Kind«, schrie die Mutter
lend an Frau Borussiaks Brust. Der Tischler nahm den Bäcker beiseite, und
die Mutter sagte: »Geh doch, Heinrich.« Aber er hatte Angst, nach unten zu gehen. Unten standen sie alle im Flur. Bresgens standen da und hatten höhnische Kommentare zu den Möbeln gegeben, das Sprichwort: »Wie der Herr, so ȇ s Gescherr«, war von Bresgens Tür zur Tür der Milchhändlerin und von dort bis zur Tür des pensionierten Sparkassenboten gegangen, und in dessen Mund hatte es die Endgültigkeit eines Urteils angenommen. Nun standen sie unten, flüsterten höhnisch, und er hatte Angst, an ihnen vorbeizugehen. Damals, als er noch für ihn zum Schwarzmarkt gehen mußte, war der Sparkassenbote immer nett gewesen, aber nun grüßte er schon lange die Mutter nicht mehr, wie Karl sie nicht mehr grüßte. Dabei war auch die Milchhändlerin unmoralisch, und Bresgens waren nach Angabe des Tischlers, der Hausbesitzer war, Bresgens waren Säue. Der einzige, der jetzt hätte helfen können, wäre der Vater gewesen: Der Vater hätte ihn beim Arm genommen und wäre mit ihm hinunter, an der Milchhändlerin, am Sparkassenboten und an den Säuen vorbeigegangen. Er dachte an den Vater, als ob er ihn gekannt hätte, und es war schwer, nicht zu weinen.
»Ja, ja«, hörte er den Sparkassenboten sagen, »die alten Wahrheiten tauchen wieder auf und erweisen sich als wahr: Wie der Herr, so ȇ s Gescherr.«
Er haßte sie alle, und er lächelte höhnisch, aber Haß und Hohn waren nicht stark genug, ihn vor den Tränen zu bewahren, und das wollte er am wenigsten: weinend dort unten vorbeigehen. Immer häßlicher schien der Krempel auf dem offenen Lastwagen zu werden. Die Sonne schien, Leute sammelten sich Ȭ und deutlich zwischen Kisten und Gerumpel war zu lesen, was auf der grauen Tür stand: Finanzverwaltung, Zimmer 547. Wenigstens Wilma hatte aufgehört zu schreien, aber die Transportarbeiter pfiffen, spuckten auf die Straße nach ihren Zigarettenstummeln, und er kam sich verdammt vor hier am Fenster, zwischen den weinenden Frauen, der Feigheit des Bäckers und dem Gedärm des Elends auf dem Lastwagen. Es war schwer, die Tränen zurückzuhalten, aber er hielt sie zurück, und die Zeit stand still wie für die Verdammten. Unten murmelten die Säue mit der Milch Ȭ händlerin, hinter ihm sprach der Tischler leise auf den Bäcker ein, man hörte das Kopfschütteln aus der Stimme des Tischlers heraus, und plötzlich wurde
Er erschrak, als er im Straßenlärm die Hupe von Alberts Auto hörte, und glaubte nicht, was er sah: daß der graue, alte Mercedes unten in den Hof fuhr. Er sah es, glaubte es aber nicht, es schob sich unter sein Bewußtsein. Verdammt war er zwischen den Säuen und der Mutter oben mit dem fleckigen
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