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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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hielt die Augen geschlossen, hörte, daß er ging, und tastete nach dem Knopf, um den Ventilator auszuschalten. Aber die Stille störte sie, und sie ließ den Ventilator wieder laufen. Bresgotes Geruch war auf ihrer Wange zurückgeblieben: salziger Dunst, mit Kognak Ȭ und Tabakaroma gemischt. Ein Nebenprodukt der Witwenfabrik war sie, das versprochen hatte, einen unrasierten Desperado endgültig vom Tode zu befreien. Alberts Auto hielt draußen vor der Tür, und noch nie war ihr Martins Stimme so hell und fremd erschienen wie jetzt. Er stürmte in Alberts Zimmer, Bolda lachte, Bresgote sprach, dann kam Albert Ȭ und plötzlich war es ganz still, und dann hörte sie Bresgote sagen, was Albert längst aus seinem Gesicht gelesen hatte: »Frau Bach Ȭ Nella ist zurück.« Tischtennisbälle wurden drüben ausprobiert: helles Getitter, Tattern über den Fußboden hin.
    »Hemden«, schrie Martin, »Hemden muß ich mitnehmen und meine
    Schulsachen.«
    »Laß«, sagte Albert draußen, »ich bring ȇ dir alles nach.« Wieder titterten Tischtennisbälle über den Boden hin, helles Tupfen gegen die Türen, und Albert sagte wütend: »Bleib hier, geh nicht rein, laß die Mutter schlafen, sie kommt nach.« »Bestimmt?«
    »Ja«, sagte Albert, »sie kommt nach.«
    Die Bälle wurden im Karton hin und her geschüttelt, rappelten zwischen Deckel und Boden hin und her, dieses Geräusch entfernte sich durch die Diele, dann hörte sie es vom Garten her und hörte Bresgote zu Albert sagen:
    »Also, du willst nichts unternehmen?«
    »Nein«, sagte Albert.
    Alberts Auto fuhr an, entfernte sich, und es blieb Stille zurück, und sie war
    Albert dankbar, daß er gegangen war und Martin nicht zu ihr gelassen hatte. Von der Küche her kam leises Klirren. Bolda sammelte das schmutzige Geschirr in der Abwaschschüssel. Sie sang dabei, leise, aber schrecklich:
    »Erlöst ist die Welt nun vom Tode.«
    Rauschendes Wasser übertönte den Gesang, heftiger klirrendes Geschirr überdeckte Boldas Stimme, aber dann kam sie wieder durch: »Wirf alles auf ihn. «
    Schranktüren knirschten in ihren Schienen, Schlüssel wurden herumgedreht, und Bolda schlurfte langsam die Treppe hinauf in ihr Zimmer.
    Jetzt erst, in dieser Stille, hörte sie die Schritte der Mutter, die wie eine Gefangene in ihrem Zimmer auf und ab ging, und das sanfte Sausen des Ventilators drang wieder zu ihr. Sie stellte ihn ab, und es war ihr, als drückte die Stille die Tränen aus ihr heraus: Nella weinte heftiger.

20

    Die Verabredung im Gartencafe war rückgängig gemacht, es war plötzlich der Umzug beschlossen worden. Die »Eiltrans« hatten einen Lastwagen geschickt, aber dieses Fahrzeug erwies sich als bedeutend zu groß. Kaum ein Fünftel der Ladefläche war erforderlich, um Frau Brielachs Besitz in das Haus des Bäckers zu befördern. Ihr Mobiliar, mit Tüchern drapiert und mit Dekorationspapier verkleidet, hatte im Zimmer »ganz nett« ausgesehen, es bestand aber nicht vor den Augen der Nachbarn, die den plötzlichen Umzug argwöhnisch beobachteten. Eine Margarinekiste voll Spielzeug, Heinrichs Bett: eine Tür, die auf Holzklötze genagelt, mit alten Seegrasmatratzen bedeckt und mit den Resten eines Vorhangs verziert war. Zwei Stühle und der Tisch, auf den Gert, Karl und Leo ihre Arme gestützt hatten. Als Kleiderschrank hatte ein Brett gedient, das zwischen Küchenschrank und Wand eingeklemmt und mit Klei Ȭ derhaken versehen, durch einen Wachstuchlappen gegen Staub und Wasserspritzer geschützt gewesen war. Einzig ansehnlich waren das Bett der kleinen Wilma, ein Geschenk von Frau Borussiak, die keine Kinder mehr bekam, und das Küchenbüfett, mahagonifarben und erst zwei Jahre alt. Der
    Radioapparat stand
    drüben bei Leo, und Leo hatte seine Tür verschlossen. Acht Jahre lang hatte

    dieses Zimmer als Wohnung gedient, es war verputzt, übertüncht, bemalt, vielmals verbessert worden, aber nun enthüllte es seine Armut, und Heinrich erschrak: Aus ihrer Ordnung gerissen, wirkten die Gegenstände wie zufällig zusammengeworfener Plunder, den zu transportieren sich kaum lohnte. Der Bäcker stand dabei, er dirigierte die Arbeiter, die nur mühsam ihren Spott über diesen Krempel zurückhielten. »Vorsicht«, rief der Bäcker, »da ist Zerbrechliches drin«, als einer der Männer den Karton mit Tassen und Tellern aufhob. Zweifel war im Gesicht des Bäckers zu lesen, und er schien zu überlegen, ob dieser Preis nicht zu hoch sei. Plötzlicher Umzug, zwei Kinder und die Schande,

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