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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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hatte Alberts Wagen nicht vor der Tür gestanden. Will, mit
    Nägeln im Mund, den Hammer in der Hand, hatte im Garten an den improvisierten Fußballtoren herumgehämmert, und die Wäsche war schon trocken gewesen. Frischer Wind kam aus dem idyllischen Tal der Brer. Grünlackierte Kisten mit Bierflaschen standen vor der Tür, und Alberts Mutter hatte aus der Hand des Metzgerlehrlings roten Schinken entgegengenommen: lächelnde Frau, und vom Gesicht des Metzgerlehrlings hatte sie die Höhe des Trinkgelds ablesen können. Aber auch unterwegs begegnete der Bus Alberts Wagen nicht; Posthorngetön nachahmend, näherte er sich fröhlich der Stadt. Vorzeitliches Gemurmel klang ihr wieder im Ohr Ȭ ührer Ȭ olk und Ȭ aterland: geköpfte Lüge, wie ein Fluch über sie hingespro Ȭ chen. Tausend Jahre schien es zurückzuliegen. Längst vermoderte Geschlechter hatten solchen Götzen geopfert. Verbrannt, zertrampelt, vergast, ab geknallt Ȭ für sechs unvollkommene Silben.
    Ein neuer Schub frischen Spargels quoll aus Nadoltes Villa in die leere Allee. Nachhut der Munterkeit, fünf einander ähnliche Stengel, weiß und schlank: Turnierreserve schwenkte um die Kirche herum, überquerte die Straße, verschwand zum Park hin.
    Nett war es gewesen, hin und wieder Pater Willibrord zu besuchen, seine
    angenehm erläuternde Stimme zu hören, sich von ihrem Klang zu beruhigen, sie den Traum nähren zu lassen Ȭ so wie Schurbigel manchmal beruhigend war. Kompressen des Trostes, Glück aus der Hand des wohlmeinenden Friseurs. Angenehmer war es als der eintönige Gesang der Nonnen, die unablässig auf das Bild des Gekreuzigten blickten. Ewiges Gebet, das Albert ermöglichte, indem er den Nonnen abnahm, was nicht Gebet
    war: Buchhaltung und Kalkulation. Für diese Arbeit erhielt er rührende
    Geschenke: Nonnenkaffee, Nonnenkuchen, Blumen aus dem Garten, buntbemalte Eier zu Ostern und zu Weihnachten Anisgebäck. Dunkel und bedrückend war das Licht in der Seitenkapelle, wo die Nonnen beteten. Ein blauer Vorhang, in dem sich schwarz die Musterung des Gitters abzeichnete. Es gelang ihr nicht mehr, Willibrord mit angenehm in Verbindung zu bringen, und die Vorstellung, Schurbigel noch einmal hören zu müssen, verursachte ihr Qual. Dahin war der parfümierte Dämmer, und es blieb das nackte Licht, das Gäselers Profil beleuchtet hatte. Intelligente Konfektion, die sich auswechseln ließ. Mörder waren nicht grausig, waren nicht schrecklich, gaben nicht Substanz für Träume, für stimmungsvolle Filme her: Werbefilme bevölkerten sie, flaches Licht gehörte zu ihnen, und sie waren Fummler am Steuerrad. Das Echo erklang wieder in ihrem Ohr, entlarvt durch die Akustik der Taufkapelle, die Anfangskonsonanten für sich behielt, ein F und zwei V als Tribut für die Lüge einbehielt: geköpfte Vokabeln nur gab sie zurück. Ein Kind spielte jetzt in der Allee. Ein roter Roller mit einem blonden Jungen bewegte sich von Baum zu Baum, Schlangen bildend. Es kam kein frischer Spargel mehr. Sie erschrak, als es an die Tür klopfte, und sagte mechanisch:
    »Ja?«
    Als sie Bresgotes Gesicht sah, wußte sie, was geschehen sollte. Der Tod, der in Scherbruders Gesicht gesessen hatte, saß auch in diesem Gesicht. Die Wirkung ihres Lächelns kam aus diesem Gesicht auf sie zurück. »Ja«, sagte sie, »ja, ja.«
    »Bresgote«, sagte der Mann, »ich warte drüben auf Albert.« Sie entsann sich,
    ihn gesehen zu haben. »Kennen wir uns nicht?«
    »Ja«, sagte er, »vom Sommerfest her.« Er kam näher. »Ach ja«, sagte sie.
    Er kam näher. Und der Tod in seinem Gesicht wurde härter. Ins Schwarze hatte das Lächeln bei ihm getroffen. »Sagen Sie nur ein Wort, und ich bringe Gäseler um.« »Würden Sie ȇ s tun?« »Ich würd ȇ s tun«, sagte er, »sofort«.
    »Gäseler«, sagte sie, »wozu?« Mußten Desperados unrasiert sein?
    Bartstoppeln bohrten sich in

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    ihren Hals, und sie versuchte, ihm zu ersparen, was ihn enttäuschen würde, aber es gelang ihr nicht, die Tränen zurückzuhalten. Er küßte sie heftig, drängte sie zum Bett hin, und als sie hilflos seitwärts griff, erwischte sie den Knopf des Ventilators, und das weiche, fluppernde Surren der Luftmühle machte Bresgotes seltsames Schluchzen unhörbar: Kinder in verfallenen Garagen versuchten so, sich von Angst und Tod zu befreien, und nannten es niemals Liebe. »Gehn Sie«, sagte sie, »bitte.«
    »Darf ich Sie einmal wiedersehen?« fragte er schluchzend. »Meinetwegen«, sagte sie, »aber später.« Sie

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