Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
Vom Netzwerk:
das Geld von der Wohlfahrt und der Kasse, sobald Sie ȇ s genehmigt bekommen. Dann wäre schon fast die Hälfte erledigt Ȭ und haben Sie sich überlegt, was Sie monatlich zahlen könnten?«
    »Zwanzig Mark vielleicht«, sagte sie müde. »Mein Gott, das würde ja mehr als ein Jahr dauern, ehe Sie den Rest bezahlt haben.«
    »Es hat keinen Zweck«, sagte sie, »ich kann auch die Anzahlung nicht
    beschaffen.«
    »Sie müssen ȇ s machen lassen«, sagte er, »bald müssen Sie ȇ s machen lassen, Sie sind doch eine junge, eine hübsche Frau, und wenn Sie warten, wird es schlimmer und teurer.« Er war sicher nicht sehr viel älter als sie, und er sah aus, wie Män Ȭ
    ner aussehen, die als junge Männer mal hübsch gewesen sind: dunkle Augen
    und helles, gelbes Haar, aber sein Gesicht war müde und aufgedunsen, und auf dem Kopf war sein Haar schon spärlich. Er spielte träge mit dem Kostenanschlag herum. »Ich kann nicht«, sagte er leise, »ich kann es nicht anders machen. Ich muß ja alles im voraus bezahlen: das Material und den Techniker, die ganzen Unkosten. Ich kann nicht. Ich würde es Ihnen sofort machen, denn ich weiß, wie schrecklich es für Sie ist.« Sie glaubte es ihm: Er hatte ihr ein paar Injektionen ins Zahnfleisch gemacht und Musterampullen dazu genommen, ihr gar nichts berechnet, und er hatte eine leichte, ruhige und sichere Hand. Schmerzhaft war der Stich in das beängstigend weit zu Ȭ rückgewichene Zahnfleisch, und die Flüssigkeit aus der Ampulle bildete einen harten Beutel, der sich nur langsam abflachte, aber eine halbe Stunde später hatte sie sich wunderbar wohl gefühlt: heiter und jung und schmerzlos.
    »Natürlich«, hatte er ihr gesagt, als sie es ihm erzählte, »es sind Hormone und
    Stoffe, die ihrem Organismus fehlen Ȭ ein wunderbares Mittel, ganz harmlos, aber teuer, wenn Sie ȇ s kaufen müssen.«
    Sie stand auf, knöpfte den Mantel zu und sprach leise, weil sie fürchtete, in Tränen auszubrechen. Der Mund tat noch so weh, und die hoffnungslos hohe Summe hatte in ihrer Endgültigkeit etwas von einem Todesurteil: In spätestens zwei Monaten würden ihr dreizehn Zähne ausgefallen sein, und damit war ihr Leben zu Ende. Leo haßte nichts mehr als schlechte Zähne: Er selbst hatte tadellos weiße, ganz gesunde Zähne, die er mit großem Eifer pflegte. Sie murmelte, während sie den Mantel zuknöpfte, den Namen der Krankheit vor sich hin, der schrecklich klang wie die Todesdiagnose eines Arztes: »Paradentose.« »Ich geb ȇ Ihnen Bescheid«, sagte sie.
    »Nehmen Sie den Kostenanschlag mit. Das ist der richtige Ȭ und das ist der
    andere, in drei Ausfertigungen. Sie brauchen für jeden Antrag einen, und der dritte ist für Sie, damit Sie die Summe wissen. «
    Der Arzt drehte sich eine neue Zigarette; die Sprechstundenhilfe kam, und er sagte zu ihr: »Bernhard kann weiterüben.« Sie steckte die Papiere in die Manteltasche. »Lassen Sie den Mut nicht sinken«, rief der Arzt, und er lächelte kläglich dabei, sein Lächeln war so kläglich wie der Sonnenschein, der über Unkel lag.
    Zu Haus war Leo, und sie wollte Leo jetzt nicht sehen. Er hatte so strahlend gesundeZähne, und schon seit Monaten bemängelte er die ihren und ihren Mundgeruch, gegen den sie vergeblich ankämpfte. Seine harten, sauberen Hände prüften ihren Körper von Tag zu Tag, und seine Augen waren so hart und unbestechlich wie seine Hände. Er würde lachen, wenn sie ihn um Geld bat. Er schenkte ihr selten etwas, nur dann, wenn er in einem sentimentalen Augenblick gerade auch Geld hatte. Das Treppenhaus war dunkel, leer und still, und sie blieb auf dem Treppenabsatz stehen und versuchte sich die Zähne des Bäckers vorzustellen: Sie waren bestimmt nicht gut; sie hatte nicht genau darauf geachtet, aber vage eine dumpf graue Farbe in Erinnerung. Durch die matte Scheibe blickte sie in den Hof, wo ein fliegender Händler seinen Karren mit Orangen bepackte: Er sortierte die dicken aus den Kisten nach rechts, die kleinen nach links, dann verteilte er die kleinen auf den Boden des Wagens, legte die dicken darüber und türmte die allerdicksten zu kleinen Pyramiden, die den Aufbau zierten. Ein kleiner, dicker Junge stapelte die Ki Ȭ sten neben den Abfalleimer. Dort verfaulte im Schatten der Mauer ein Haufen von Zitronen: grünlich durchmischtes Gelb, weißlich durchmischtes Grün in dem bläulichen Schatten, der die roten Wangen des Jungen violett erscheinen ließ. Die Schmerzen in ihrem Mund ließen nach, und sie sehnte sich

Weitere Kostenlose Bücher