Haus Ohne Hüter
— und »Voran der Trommelbube«: Tochter
des Wirts vom »Roten Hut«, wo ihr Vater freitags den halben Lohn vertrank. Jetzt sah sie wie eine Reiterin aus mit den Beinen einer Sechzehnjährigen und dem Gesicht einer Vierzigerin, die es darauf anlegte, wie vierunddreißig auszusehen: kühle und freundliche Verweigerin nächtlicher Pflichten, die den dunklen, traurigen Mann im Keller in hymnische Verzweiflung trieb. « Sie nahm die Tasse an den Mund und blickte hinaus: Über die Straße hinweg konnte sie den Zahnarzt am Bohrer hantieren sehen: oberhalb der Halbgardine schwenkte er die Arme des gelblichen, zerkratzten Bohrers herum: sie sah sein helles Haar vor dem dunklen Schatten der Wand und den müden Nacken eines Mannes, der Schulden hat. Der Kaffee tat wohl, und die Tomahawk war herrlich.
Sie wußte, daß der Bäcker besser war als Leo: Er war gut und tüchtig, hatte sogar mehr Geld, aber mit Leo brechen und neben ihm wohnen würde entsetzlich sein, vor allem auch für die Kinder, und es würde einen Prozeß mit Leo geben wegen der Alimente für Wilma, die er jetzt ans Jugendamt zahlte, die sie vom Jugendamt bekam, aber heimlich Leo wieder zusteckte.
»Hab ȇ ich ȇ s denn gewollt? Nein, das mußt du zugeben.« Der Bäcker hatte ein
Zimmer frei, oben, wo der Gehilfe gewohnt hatte, der durchgebrannt war, und der Bäcker wollte keinen Gehilfen mehr nehmen: »Du ersetzt mir einen Gehilfen.« Sie hatte Angst um den Jungen, der seit drei Wochen anders zu ihr war: Plötzlich hatte sein Blick sich geändert, er sah sie nicht
mehr so offen an. Sie wußte, daß es seit dem Tag war, an dem Leo ihn der
Unterschlagung bezichtigt hatte: hübscher kleiner Bengel, der Leo haßte und von Leo gehaßt wurde. Allein mit den Kindern zu sein, das wäre das Beste: Sie war die nächtlichen Verpflichtungen gegen Leo leid und beneidete insgeheim die Bäckerin, die es sich leisten konnte, die Männer konsequent zu hassen. Mit dem Jungen allein würde sie durchkommen. Sie erschrak oft, wenn ihr klar wurde, wie vernünftig er war: genauer Rechner, scharfer Kalkulator, der viel besser zu wirtschaften verstand, als sie es je gekonnt hatte: kühles Hirn, scheues Gesicht und der Blick, der seit einer Woche ganz an ihrem vorbeiging. Der Bäcker hatte ein Zimmer frei.
Am besten wäre es gewesen, zurückzufallen in Bambergers Nudelfabrik:
gelbe, so saubere Nudeln, tiefblaue Kartons und die knallroten Gutscheine: Siegfrieds Butter Ȭ , Kriemhilds Margarinehaar und Hagens Augen so schwarz wie Etzels Mongolenbart, schwarz wie Wimperntusche; Etzels rundes, grinsendes Gesicht, gelb wie ganz milder Senf, und dann der Rosenhäutige: Gieselher und der Mann mit der Leier, in rostbraunem Wams, so hübsch, viel hübscher als Siegfried hatte sie ihn gefunden: Volker. Und die Flammen um den brennenden Palast, rot und gelb durcheinander wie Butter und Blut gemischt. Abends das rosige, grelle Licht im Eissalon. Gelbliches Bananeneis für fünfzehn Pfennige, oder mit Heinrich in Panzeruniform in die »Wespe«, wo die helle, grelle Trompete das Feld beherrschte: lachender Gefreiter, lachender Unteroffizier, lachender Feldwebel, zusammengeschmort in einem Panzer zwischen Saporoshe und Dnjepropetrowsk, Mumie ohne Soldbuch, ohne Armbanduhr, ohne Trauring Ȭ nicht zurückgekehrt, doch nicht in Gefangenschaft.
Gelacht hatte nur Gert: zärtlicher kleiner Plattenleger, der auch, wenn das
Notwendige sich in der Nacht vollzog, noch lachen konnte: Siebzehn Armbanduhren brachte er als Beute aus dem Krieg mit, und alles, was er tat, tat er lachend: Gipsabwiegen und Plattenlegen, und wenn er sie umarmte, sie im Dunkeln sein Gesicht über sich sah, lachte er, traurig manchmal, aber er lachte. Dann war er abgehauen nach München. — »Ich kann nicht so lange Zeit an einem Ort leben...« Heinrichs bester Freund und der einzige, mit dem sie manchmal über ihren Mann sprechen konnte, ohne daß es peinlich
Der Zahnarzt drüben öffnete das Fenster und lehnte sich für ein paar Augenblicke hinaus, rauchte eine von seinen dicken selbstgedrehten Zigaretten. Dreihundert Mark Anzahlung und monatlich wieviel? Sie würde mit dem Jungen darüber reden, er konnte rechnen, konnte kalkulieren: Er hatte die Idee gehabt, einen Warenkredit zu nehmen: hundertfünfzig Mark, die er vom Haushaltsgeld abstotterte, sparte, ohne daß sie viel davon spürte: Schuhe und Socken, Tasche und Schal: abgesparte Kartoffeln, nicht gegessene Margarine, nicht getrunkener Kaffee, vom Speisezettel
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