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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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Sie mit mir im Wagen. Ich lade Sie ein.«
    »Schön«, sagte sie. »Soll ich Sie abholen?«
    »Nein, nein, am besten treffen wir uns in der Stadt. Wo?« »Freitag um zwölf«, sagte er, »am Platz der Vertrauensbank, wo die Hauptkasse ist, um zwölf, Sie kommen wirklich?« »Ich komme«, sagte sie, und sie dachte: Ich werde dich töten, werde dich zerschneiden, zersägen mit meiner Waffe, die schrecklich ist: mit meinem Lächeln, das mich nichts kostet, nur eine winzige Muskelbewegung im Unterkiefer, ein Mechanismus, der leicht zu bedienen ist: ich habe mehr Munition, als du für deine Maschinengewehre hattest, und es kostet mich so wenig, wie dich die
    »Ja, ich komme«, sagte sie, hängte ein und ging in die Diele zurück.

4

    Der Zahnarzt öffnete die Tür zu seinem Wohnzimmer und sagte: »Setzen Sie sich bitte, Frau Brielach.« in Junge, der so alt war wie ihrer, saß am Klavier und klimperte lustlos. »Geh für ein paar Minuten hinaus«, sagte der Zahnarzt. Der Junge verschwand sehr schnell und ließ das aufgeschlagene Notenheft über den gelblichen Tasten zurück. Sie blickte auf den Titel und las müde: Etudes 54. DerZahnarzt seufzte hinter seinem schwarzgebeizten Schreibtisch, suchte mit langen Fingern ihre Karteikarte, nahm einige an die Karte geheftete weiße Zettel weg und sagte: »Nun erschrecken Sie nicht. Hier habe ich den Kostenanschlag.« Er sah sie seufzend an, und sie blickte auf das Bild, das hinter ihm an der Wand hing: Unkel im Sonnenschein. Viel grelles Gelb hatte der Maler verschwendet, um den Rhein, die Weinberge und die hübsche Fassade des Städtchens sonnig erscheinen zu lassen, aber der Maler hatte das viele Gelb umsonst verschwendet: Unkel sah nicht sonnig aus. DerZahnarzt nahm ein Päckchen Tabak aus der Schublade, öffnete die Silberpapierklappe und drehte, immer noch seufzend, langsam eine dicke Zigarette. Er schob ihr Tabak und Papier zu, aber sie schüttelte den Kopf und sagte leise: »Danke.« Sie hätte gern geraucht, aber der Mund tat ihr weh: Der Zahnarzt hatte ihr Zahnfleisch mit beißendem Zeug bepinselt und mit einem Nickel Ȭ hämmerchen an ihren Zähnen herumgeklopft, kopfschüttelnd hatte er mit seinen langen, schönen Fingern ihr Zahnfleisch hart und heftig massiert Ȭ immer kopfschüttelnd. Er legte den Zettel vor sich hin, rauchte und sagte ganz plötzlich: »Erschrecken Sie nicht: Es wird zwölfhundert Mark kosten.« Sie starrte auf Unkel im Sonnenschein und war zu müde, um zu erschrecken: Sie hatte mit fünfhundert, sechshundert Mark gerechnet, aber wenn er gesagt hätte: »Zweitausend«, wäre es so schlimm gewesen wie »Zwölfhundert«. Fünfzig Mark waren viel, sehr viel Geld, aber jede Summe über hundertfünfzig war gleich unerreichbar: Von zweihundert bis zweitausend und darüber war es fast gleichgültig, wie hoch die Summe war. Der Arzt zog den Rauch tief ein: Würzigen, frischen Tabak hatte er. »Ich
    könnte es für acht Ȭ , vielleicht für siebenhundert machen, aber dann kann ich nicht garantieren. So garantiere ich, daß es tadellos aussieht. Sie kennen sicher den billigeren Zahnersatz: Er sieht so bläulich aus.«
    Ja, sie kannte ihn und fand ihn entsetzlich: Luda hatte solchen Zahnersatz, die Frau aus dem Süßwarengeschäft, und wenn sie lächelte, schimmerte es bläulich Ȭ weiß und so offenbar künstlich. »Machen Sie einen Antrag bei der Fürsorge, vielleicht einen bei der Wohlfahrt. Wenn Sie Glück haben, gibt die Wohlfahrt was dazu. Ich habe Ihnen zwei andere Kostenanschläge gemacht: über achthundert, denn wenn Sie den teuren einreichen, kriegen Sie gar nichts. Wenn Sie viel Glück haben, kriegen Sie insgesamt fünfhundert Mark: Es fallen zu vielen Leuten die Zähne aus. Wieviel könnten Sie denn monatlich zahlen?« Sie zahlte immer noch an den Kosten für Heinrichs Erstkommunion ab: acht Mark in der Woche, über die Leo sowieso schon fluchte. Hinzu kam, daß sie eine Zeitlang nicht würde arbeiten können Ȭ sie würde das Haus nicht ohne Zähne verlassen, sie würde sich einschließen, sich das Gesicht umwickeln, abends mit verbundenem Kopf zum Zahnarzt schleichen. Eine Frau ohne Zähne sah zu schrecklich aus. Kein Fremder dürfte ins Zimmer kommen, und nicht einmal Heinrich würde sie sich zeigen. Leo schon gar nicht. Dreizehn Zähne weg! Luda hatte damals nur sechs gezogen bekommen und sah aus wie eine uralte Frau.
    »Und außerdem«, sagte der Arzt, »müßte ich mindestens dreihundert Mark Anzahlung haben, ehe ich anfangen kann, und dann

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