Haus Ohne Hüter
er mit ihr allein war, pries er mit stammelnden Worten die Freuden der Liebe: ein mit dunkler Stimme vorgetragener Hymnus auf die Schönheit der körperli Ȭ chen Liebe. Er haßte seine Frau, seine Frau haßte ihn, haßte alle Männer Ȭ er aber, der Bäcker, liebte die Frauen, pries ihren Körper, ihr Herz, ihren Mund, manchmal seine Melancholie ins Wilde steigernd Ȭ , und sie hörte ihm zu, während sie Margarine abwog, Schokolade schmolz, Kreme zurechtrührte und mit einem kleinen Löffel Fondants und Pralinen formte aus Massen, die er zurechtgemacht hatte. Während sie mit dem Pinsel Schokolade auf Törtchen strich, winzige Muster bildend, die er bezaubernd fand, und Marzipanschweinen eine Schokoladenphysiognomie gab Ȭ die ganze Zeit über pries er stammelnd ihr Gesicht, ihre Hände, ihren zarten Körper.
In der Bäckerei war alles grau und weiß, alle Abstufungen zwischen dem
Schwarz des Kuchenblechs, dem Schwarz der Kohlen und der Weiße des Mehls gab es: Hunderte von durcheinanderschimmernden Graus, nur selten einmal Rot oder Gelb; das Rot von Kirschen, das wilde Gelb einer Zitrone oder das sanfte der Ananas. Fast alles war zwischen weiß und grau, unzählige Graus, zu denen auch das Gesicht des Bäckers gehörte: ein kind Ȭ
licher, farbloser, runder Mund, graue Augen und graue Zähne, zwischen
denen eine blaßrote Zunge sichtbar wurde, wenn er sprach, und er sprach immer, wenn er mit ihr allein war. Der Bäcker sehnte sich nach einer Frau, die keine Hure war. Seitdem seine Frau ihn und alle Männer haßte, genoß er nur noch die Freuden, die in Bordellen gespendet werden, Freuden, die ihm offenbar zu wenig poetisch erschienen und bei denen ein Wunsch unerfüllt blieb: der Wunsch, Kinder zu haben. Wenn sie ihn abwies, indem sie harte Worte für die Liebe gebrauchte Ȭ Leo Ȭ Worte Ȭ , erschrak er, und sie sah daran, wie zart sein Gemüt war.
Diese Worte kamen halb gegen, halb mit ihrem Willen aus einem heftigen
Trotz gegen seine Sanftmut: Es waren Leo Ȭ Worte, die in sie hineingeflüstert und hineingeschrien worden waren, täglich seit Jahren, Worte, die über sie hingesprochen wurden wie Flüche. Worte, die in ihr ruhten, dann ausbrachen, die sie in das traurige Gesicht des Bäckers hineinsprach, Verheerungen anrichtend.
»Nein, nein«, sagte der Bäcker, »sag das doch nicht.« Leo würde sagen: »Na,
was ist denn mit deiner Fresse«, und sie wollte jetzt nicht nach Hause gehen, um das nicht zu hören, seine tadellos weißen, gesunden Zähne nicht zu sehen. Sie wollte erst nach Hause kommen, wenn Leo zur Schicht war. Vorsichtshalber hatte sie die Kleine zu Frau Borussiak gegeben; es war nicht gut, Leo mit seiner Tocher allein zu lassen. Frau Borussiak war eine hübsche Frau, vier Jahre älter als sie, mit wunderbaren, schneeweißen Zähnen, eine Frau, die zwei Eigenschaften miteinander verband: fromm war sie und freundlich. Sie ging in das Cafe, das dem Hause des Zahnarztes gegenüberlag, setzte sich ans Fenster und nahm die Zigaretten aus der Manteltasche: Tomahawk, sehr lang und sehr weiß und sehr stark. »Die Sonne Virginias reifte diesen Tabak.« Sie hatte keine Lust, in der Illustrierten zu lesen, und während sie im Kaffee rührte, fiel ihr ein, daß sie den Bäcker um Vorschuß würde fragen können: Vielleicht würde er ihr hundert Mark Vorschuß geben, und sie beschloß, die Leo Ȭ Worte nicht mehr zu gebrauchen, um den Bäcker nicht zu kränken. Vielleicht würde sie den Bäcker erhören: Rührende, gierige Zärtlichkeit, die sie entgegennehmen mußte, würde der Preis sein Ȭ zwischen Kuchenplatten und halb fertig bemalten Schweinen würde er ihr
stern: zwischen kleinen Hügeln von Kokosmehl, über mit Puder lasierte Rumtörtchen hinweg würde er ihr zulächeln, voll des Glücks, und sie würde die feuchten, glücklichen Küsse eines Mannes spüren, der die käufliche Liebe verabscheute und der ehelichen nicht mehr teilhaftig wurde, seitdem seine Frau die Männer haßte: magere, kurzhaarige Schönheit mit brennendem, hartem Blick, stets die Hand am Kassenschwengel, wie ein Kapitän seine Hand am Steuerrad hat: Sie hatte eine harte, kleine Hand mit »herbem« Schmuck, mit kühlen, grünen Steinen, ganz hell, aber kostbar, Hände, die Leos Händen glichen. Schlanke knabenhafte Göttin, die vor zehn Jahren noch Ȭ schlank und herrisch Ȭ vor den Mädchen in braunen Jacken einhergeschritten war, singend mit einer hellen, schönen, so stolzen Stimme:
»Am Barette schwankt die Feder«
Weitere Kostenlose Bücher