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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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nach einer Zigarette, einer Tasse Kaffee und nahm das Portemonnaie heraus: abgewetztes, graues Wildleder, das schwärzlich geglättet war; es war noch ein Geschenk ihres Mannes, der zwischen Saporoshe und Dnjepropetrowsk längst vermodert war. Er hatte es ihr vor dreizehn Jahren geschenkt, es war aus Paris: Geschenk des lachenden Feldwebels auf dem Buntfoto, des lachenden Autoschlossers, lachenden Bräutigams, der nicht viel hinterließ: ein zerschlissenes Portemonnaie, ein Andenken an seine erste heilige Kommunion und eine gelbliche, verschlissene Broschüre »Was der Autoschlosser bei der Gehilfenprüfung wissen muß«. Ein Kind hinterließ er, eine Witwe und das ehemals graue, nun schwärzlich geglättete Portemonnaie aus Wildleder, ein Geschenk aus Paris, von dem sie sich nie trennte. Seltsam war der Brief des Kompanieführers gewesen Ȭ »fuhr mit seinem Panzer als Verstärkung einer gewaltsamen Erkundung und kehrte von diesem Einsatz nicht zurück. Wir wissen jedoch,
    daß Ihr Gatte, der einer der ältesten und treuesten Soldaten der Kompanie
    war, nicht in russische Gefangenschaft geraten ist. Ihr Gatte ist den Heldentod gestorben.« Keine Uhr, kein Soldbuch, kein Trauring und nicht in Gefangenschaft. Was war er? Ȭ Verbrannt in seinem Panzer.
    Briefe, die sie an den Kompanieführer schrieb, kamen nach einem halben Jahr
    zurück: >Gefallen für Großdeutschland<. Ein anderer Offizier schrieb: »Tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, daß kein Augenzeuge vom Einsatz Ihres Mannes mehr in der Einheit ist.« Zusammengeschmorte Mumie zwischen Saporoshe und Dnjepropetrowsk.
    Der dicke Junge unten im Hof schrieb mit einem Kreidepinsel auf die Tafel:
    »6 Riesenorangen für 1 Mark« Ȭ der Vater, der so rote Wangen hatte wie sein Sohn, wischte die 6 aus und malte eine 5 hin.
    Sie zählte das Geld in ihrem Portemonnaie: die beiden Zwanzigmarkscheine,
    die unantastbar waren, Haushaltsgeld für zehn Tage für den Jungen. Darüber hinaus hatte sie eine Mark achtzig. Am schönsten wäre es gewesen, ins Kino zu gehen: Dort war es dunkel und warm, und die Zeit schmolz so lau und schmerzlos dahin, die Zeit, die sonst hart war: Stunden wie Mühlräder, die sich langsam drehten, langsam und beharrlich zerkleinerten sie die Zeit: Zerschlagene Knochen blieben ihr und ein bleiernes Hirn und die abendliche Wollust, die ihr lästig war. Die Angst vor dem Mundgeruch, den wackligen Zähnen; das mürbe werdende Haar und der Teint, der sich unerbittlich vergröberte. Das Kino war gut und ruhig, so wie sie als Kind die Kirche empfunden hatte: wohltuender Rhythmus von Liedern, von Worten, von Aufstehen, Hinknien; wohltuend nach der stinkenden Härte des Elternhauses, wo ein fleischfressender Vater eine frömmelnde Mutter tyrannisierte; die Mutter hatte Krampfadern unter den Strümpfen zu verbergen versucht, als sie so alt war wie sie jetzt: einunddreißig. Wohltuend war fast alles, was nicht zu Hause war: wohltuende Eintönigkeit in Bambergers Nudelfabrik, wo sie Nudeln abwog und in Schachteln füllte, Nudeln abwog und in Schachteln füllte, wog, wog, packte Ȭ faszinierender Stumpfsinn und Sauberkeit: tiefblaue Kartons Ȭ blau wie die tiefen Stellen der Meere auf Atlanten Ȭ , gelbe Nudeln und die knallroten Gutscheine für
    »Bambergers bunte Bilderreihe«, grell bedruckte Kärtchen, auf denen »altes
    abgebildet war: Oh, Siegfried mit Haaren wie frische Butter, Wangen wie
    Pfirsicheis und Kriemhild mit der Haut wie leicht rosige Zahnpasta, Haaren wie Margarine und dem kirschroten Mund. Gelbe Nudeln, tiefblaue Kartons und die knallroten Gutscheine für »Bambergers bunte Bilderreihe«. Sauberkeit ringsum, helles Kichern in der Kantine von Bambergers Nudelfabrik und abends der Eissalon mit rosigem Licht. Oder Tanzen mit Heinrich, der alle vierzehn Tage Sonntagsurlaub bekam: lachender Panzergefreiter, dessen Dienstzeit bald herum sein sollte.
    Eine Mark achtzig waren ausreichend fürs Kino, aber es war zu spät: Die Morgenvorstellung fing um elf an, hatte längst begonnen, und um eins mußte sie in der Bäckerei sein. Der Junge unten im Hof stieß das grüne Blechtor auf, und der Vater schob den Karren an. Durchs offene Tor konnte sie die Straße sehen: Autoreifen und die Beine strampelnder Radfahrer. Sie ging langsam die Treppe hinunter und versuchte sich vorzustellen, wieviel der Bäcker sich seine melancholische Wollust kosten lassen würde; er war mager am Körper, hatte aber ein dickes, gedunsenes Gesicht und traurige Augen. Wenn

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