Hausverbot
Ich gab an, mit Lech Walesa ein sexuelles Verhältnis gehabt zu haben. Ich improvisierte und log, was das Zeug hielt, und die Leute glaubten mir alles. Viele kannten mich aus dem ›Radio Las Vegas‹ auf EfEsKa und flüsterten anderen zu, dass sie gehört hätten, wie ich damals im Sender von der Polizei abgeholt wurde. Ich gestand, dass ich wegen meiner letzten Radiosendung drei Monate im Gefängnis verbracht hätte. In bester Form fabulierte ich über die Zustände in den Hamburger Frauengefängnissen, was in der Situation total politisch wirkte. Mir gefiel das. Ich mochte solche Zufälle. Ich liebte es, wenn sich Zufälle ergaben. Ich war der Meinung, dass die Kunst und das Leben nicht genau geplant werden konnten. Dann wurden sie gut.
Heidi hatte schon die halbe Flasche intus und wollte jetzt auch mitreden. Sie stand dauernd auf und versuchte mir das Mikrofon aus der Hand zu reißen. Na, na. Ich stellte ihr Fragen, damit sie nicht so unkoordiniert rumlaberte, aber sie war schon ziemlich hacke, sodass sie nur noch lallte. Währenddessen ging Anna einfach aufs Klo. Das sah aus, als müsste sie gleich kotzen. Verdammt, ich hätte denen was zu essen hinstellen sollen, ein Glas Gurken oder etwas Brot. Diese Mädels waren heutzutage alle so dünn. Die hungerten den ganzen Tag, damit sie bloß keine Kurven kriegten. Beim nächsten Mal wollte ich etwas Proviant zum Wodka besorgen. Aber ich konnte wirklich nicht an alles denken. Ich machte das alles ganz alleine. Ich hatte keinen Manager, keine Assistenten, keine Sklaven. Sonst hätte sich das alles nicht gelohnt. Ich wollte auch ein wenig Cash nach Hause bringen, für Gina, für mich, für meine Kunst. Gina brauchte neue Buffalo-Schuhe. Ich brauchte neue High Heels. Meine Kunst brauchte mich. Ich kannte das von anderen Projekten, wo zu viele Leute beteiligt waren und man sich am Ende die Abendkasse teilte. Da kamen zum Beispiel zweitausend Mark über die Eintritte rein, die mittlerweile nur noch eintausend Euro wert waren. Zweihundert zahlende Zuschauer und fünfzig auf der Gästeliste brachten einen riesigen Erfolg auf der ganzen Strecke. Der Laden boomte. Am nächsten Tag rechnete man durch. Für Geräteausleihe, Material, Flyer, Plakate, Transporte, Türsteher, Techniker, Putzdienst, Abendkasse, Abenddienst und Backstage-Bewirtung wurden erst mal neunhundert Euro abgezogen. Über blieben dann einhundert Euro, die für alle beteiligten Künstler ausreichen mussten. Dann behielt ich lieber die einhundert nur für mich alleine. Die Künstlergagen für Mitwirkende beantragte ich bei der Kulturbehörde. Im Gegensatz zu den meisten Untergrundshows, die es in der Stadt gab, bekamen meine Künstler Honorare von wenigstens fünfzig Euro und mussten sich nicht mit einem Zehner abspeisen lassen, der nicht mal fürs Taxi reichte. Mein Showbusiness war mit ziemlichem Geldgetüftel verbunden, aber auch mit unglaublichem Spaß. Ich befand mich da in meinem Element. Für jede Show bereitete ich immer eine andere Requisite und neue Gimmicks vor. Offenbar stillte ich damit nachträglich all den Hunger nach Spielzeug, den ich als Kind stets hatte. Anders konnte ich mir das auch nicht erklären. Weil ich weiter und weiter und mehr und mehr an Sachen kaufte, bastelte und nähte, die Normalbürger für Scherzartikel und Kunst-Connaisseure für Tand hielten. Aber für mich waren es Kunstobjekte.
Zwei Sanitäter bahnten sich den Weg durchs Publikum zu den Toiletten. Da ging irgendwas ab. Heidi lag mit dem Kopf auf dem Tisch und brabbelte vor sich hin. Ihre Flasche war leer. Das kam mir nicht ganz koscher vor. Der Wodka war doch nicht gepantscht? Ich hatte ihn ganz normal bei ›Penny‹ gekauft. Bloß, warum war Anna immer noch nicht zurück auf der Bühne? Ich ahnte schon, was passiert war. Die hatte auf dem Klo einen Kollaps erlitten. Jemand hatte wohl den Krankenwagen gerufen. Ich wusste auch, was gleich geschehen würde. Professionell moderierte ich die Situation an: Meine Damen und Herren, wir haben es hier mit einem Sonderfall zu tun. Die finnische Trinkerin ist aus gesundheitlichen Gründen ausgeschieden. Sehen Sie, da wird sie schon ins Krankenhaus gebracht. Ich bedanke mich trotzdem für ihre Teilnahme. Sie ist immerhin auf Platz zwei gekommen. Applaus für Anna aus Helsinki! Die Leute klatschten und lachten.Die Sanitäter trugen Anna auf einer Bahre durch den Laden. Die wahre und einzige, die echte Gewinnerin des heutigen Wodkatrinkwettbewerbs ist die deutsche Heidi. Heidi,
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