Hausverbot
Kulturgeldern weiterhin Zeichentrickfilme produzieren. Davon leben konnte ich leider nicht. Parallel beackerte ich neue Gebiete, um finanziell nicht unterzugehen. Seit ich mich auf Adrian und seine Musikerkumpels eingelassen hatte, agierte ich immer öfter in den schwarzen Löchern der Untergrundkultur als in den weiß gestrichenen Ausstellungsräumen, in denen man sich wegen des vielen Neonlichts wie beim Zahnarzt fühlte. Ich tauschte sozusagen den White Cube der Galerien gegen den Black Cube der Clubs. Dort unten in den Kellern konnte man sowieso viel anarchistischer, spontaner, freier, camouflierter, mysteriöser, poppiger, politischer und zeitgemäßer arbeiten als auf den oberen Etagen der gepflegten Kunstinstitutionen. Endlich konnte ich abgehen, wie das meinem Naturell entsprach.
Ich hatte zwar Kunst studiert, das hieß aber nicht, dass ich für immer dazu verdonnert war, mich hinten anzustellen. Wenn ich in der Kunsthalle ausstellen wollte, teilte man mir mit, dass das vielleicht in zwanzig Jahre klappen könnte. Wie bitte? Wenn ich eine renommierte Galerie auf mein Portfolio aufmerksam machen wollte, teilte man mir mit, dass keine Künstler mehr ins Programm genommen würden. In diese absurde Welt kam ich nicht einfach so rein, nur weil ich begabt, gebildet, fleißig und visionär war. Für diese Welt wurden einzelne, willkürlich rausgepickte Personen benötigt, von denen dann erwartet wurde, dass sie sich anpassten. Und zu denen gehörte ich auf keinen Fall.
Mir war klar: Der Ruhm nach dem Tod war out. In war es, von der Kunst zu leben. Der Kunstbetrieb ignorierte mich. Was tun? Zu schade war ich mir jedenfalls für nichts, nicht wie all die Idioten, mit denen ich damals auf dem Lerchenfeld studiert hatte. Sie wollten immer nur cool sein. Für sie war das, was ich machte, peinlich. Meine Malerei war denen zu figurativ, meine Zeichentrickfilme waren denen zu narrativ und meine Performances zu unterhaltsam. Außerdem konnte keiner von denen sagen, was ich eigentlich machte. Ihnen war es immer wichtig, dass der Künstler in eine Schublade passte. Die eine machte Kunst mit Waschlappen, die andere mit Haushaltsschwämmen. Wenn die Waschlappenkünstlerin nur ein einziges Mal einen Haushaltsschwamm in ihrer Installation benutzen wollte, gab es Ärger. Meine Güte, wie bieder, wie öde, wie geistlos! Ich war froh, dass ich meine Spielwiese woanders hin verlegt hatte.
Mein ›High Heels Contest‹ im Westwerk war ein großer Erfolg geworden. Zwölf Teilnehmer flanierten in mehreren Disziplinen über den Catwalk, in Lola-Love-Outfits und auf verschiedenen Sorten von hohen Schuhen. Ich hatte Geburtstag und freute mich wahnsinnig, all diese Figuren in meinen eigenen bunten Kleidern und Perücken zu präsentieren und zu sehen. Endlich war ich nicht alleine in meiner Erscheinung. Weil der ›High Heels Contest‹ an Ostern stattfand, gab es zu dem obligatorischen Wodka auch viele, viele Eier. Die Kandidaten balancierten rohe Eier auf Kochlöffeln, die sie im Mund hielten. Die Zuschauer vergnügten sich dabei, indem sie die von mir exklusiv für diesen Tag entworfene Wodka-Ei-Majo-Installation aufaßen und austranken. Um diese zweihundert Eierhälften und genauso viele Plastikgläschen mit Wodka an der Wand zu befestigen, hatten Gina und ihr schwuler Schulfreund Carlos achthundert fünf Zentimeter lange Stahlnägel mehrere Stunden lang in die Wand gehauen. Die Band Kiss Kiss Bang Bang spielte Elektro und ich sang ein Lied über ›Luxus und Glamour‹. Meine Ex-Kommilitonin von der HaEfBeKa und seit Kurzem auch Ex-Domina Susanne Klein führte ihre neuesten Fetisch-Schuhe vor, auf denen sie wegen der extremen Höhe nur an Krücken gehen konnte. Dazu schnallte sie sich auf den hautfarbenen Miederbody falsche Brüste an und trug auch einen Popo-Vergrößerer. Ihr glatzköpfiger Ehemann Rüdiger applaudierte im Publikum in irrsinniger Ausstaffierung aus pinken Latexwindelshorts und hellblauem Latexrollkragenpullover, unter dem sich riesige falsche Brüste abzeichneten. Eigentlich hätte ich ihn auch gerne auf der Bühne gehabt, aber Rüdiger mochte es nicht, direkt im Rampenlicht zu stehen. Er zog es vor, die Aufmerksamkeit auf andere Weise auf sich zu ziehen. Eindeutig war Rüdiger von Natur aus kein Künstler wie seine Ehefrau Susanne, sondern ein Exhibitionist. Susanne war wiederum eine Fetischistin und wurde von der seriösen Kunstszene nicht richtig ernst genommen. Deswegen hatte sie viele Jahre als Domina
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