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Hausverbot

Hausverbot

Titel: Hausverbot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mariola Brillowska
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allem Drum und Dran nahm das Raushauen eines Ziegelsteins also einen ganzen Tag in Anspruch. Ich entschied, die Wand doch zu behalten, obwohl sie mich total nervte. Ich hatte auch keine Lust mehr, am Tag drauf das Loch zuzumauern. Ich behielt es als Getränkedurchreiche– vor allem für Cola-Flaschen. Ich trank nämlich jeden Tag drei Liter Coca-Cola, die ich in meinem Kühlschrank lagerte. Nun musste ich nicht mehr jedes Mal, wenn ich Durst hatte, umständlich aus dem Arbeitsraum in den Flur und aus dem Flur in die Küche zum Kühlschrank latschen. Ich stellte mir die Cola-Flaschen in die Durchreiche und konnte ständig daraus trinken, egal ob ich mich in der Küche oder im Arbeitsraum aufhielt. Ich konnte auch die leeren Flaschen durch die Durchreiche in die Küche stellen. Für mich war die Durchreiche ein Hauch von Luxus in diesem Haus, wo man noch mit Kohleöfen heizte. Wo es statt Badezimmer auf jeder Etage Gemeinschaftstoiletten und Kaltduschen gab. Das Vorwerkstift musste auf jeden Fall modernisiert werden. Aber ohne mich. Es war zwar zufällig durch mich vom Altersheim zum Künstlerhaus geworden, aber ich war ja nicht nach Deutschland gekommen, um auf dem Bau als polnische Zwangsarbeiterin zu schuften. Das hat es im Zweiten Weltkrieg gegeben. Ich hielt die Bedingungen der Patriotischen Gesellschaft für unwürdig und meine Mitbewohner für Schlappschwänze ohne Zivilcourage. Sie ließen sich den Renovierungsdeal aufzwingen, und mich, die ihnen das Wohnen in diesem Haus ermöglichte, schmissen sie raus. Dann war es nur gerecht, denen die Flure mit Feuerlöscherschmiere zu versauen. Diese Opportunisten machten mich gerade derart wütend. Was für Arschlöcher. Ich hatte so eine Lust, sie zu verprügeln. Ich ging ins Haus und riss die Bretter von meiner gelben Tür.

III
    Auge um Auge. Zahn um Zahn. Steht schon in der Bibel. Und wurde so lange praktiziert, bis Jesus Christus den Masochismus als menschliche Tugend etabliert hatte. Nachdem er am Kreuz gestorben war, begann eine neue Zeitrechnung. Wenn Jesus nach dem Auferstehen tatsächlich weitergelebt hätte, wäre er wahrscheinlich ein Sadist geworden. Das wäre nur gerecht gewesen, und man hätte es ihm nicht mal übel nehmen dürfen, nachdem er so brutal hingerichtet worden war. Nun bestanden die Menschen der Neuzeit zur Hälfte aus Masochisten, dennoch waren die restlichen immer noch sadistisch veranlagt. Bis die Hippies als Botschafter des Friedens, des Pazifismus und der Gewaltlosigkeit die Sado-Maso-Gesellschaft erneut mit Post-Jesus-Christus-Parolen anzustecken versuchten. Sie legten die Kleider ab, rasierten sich nicht und negierten den Unterschied zwischen Mann und Frau. Ich hielt das behaarte Hippiegetue schon immer für charakterlos und unsexy. Offensichtlich auch viele aus meiner Generation, sonst hätte es den Punk nicht gegeben. Malcolm McLaren und Vivienne Westwood sei Dank. Wie rasch der Punk die Hippies vertrieb, das hätte keine Staatsregierung vorhersehen können. Einige jüngere Hippies wurden Punker, aber die meisten schnitten sich ihre Haare ab oder bündelten sie zu Zöpfen und wurden Lehrer, Soziologen, Ökologen, Krankenpfleger. Die Vokuhilas der Prollhippies wurden auch weniger, nur hinten am Nacken blieb ein kleines Zöpfchen zurück. Diese Köpfe verstanden weder die Hippie- noch die Punk-Ideologie und schon gar nicht die Punk-Mode. Diese Köpfe gehörten skalpiert. Hätte ich die Punkblütezeit nicht im polnischen Sopot verbracht, umgeben von Hippies, wäre ich wahrscheinlich straffällig geworden. Ich wäre zur Prollhippiezöpfchenjägerin geworden.
    In Sopot gab es keinen Punk. Als Einziger in der ganzen Gegend trug Arek eine Mini-Sicherheitsnadel im Ohr. Das kleine unauffällige Schmuckstück wirkte sehr fremd an ihm. Er war ansonsten ganz brav mit weißem Hemd, dunkelblauem Pullover und gebügelter Stoffhose gekleidet. Sein Vater war Diplomat und reiste manchmal nach Westeuropa, von wo er Zeitschriften wie ›Stern‹ mitbrachte. Als Beweis dafür, dass er nicht verrückt geworden war, schleppte Arek immer den ›Stern‹ von 1976 mit sich rum, darin ein Artikel über die Sex Pistols und deren Anhänger. Dort hatte ich faktisch zum ersten Mal Fotos von echten Punkern gesehen. Ich übersetzte mir diesen Artikel mühsam mit dem Wörterbuch. Mich sprach die Attitüde der Punker irgendwie an. Zwar begann ich nicht wie Arek, mir die Ohren mit Sicherheitsnadeln durchzustechen. Dennoch brannte sich meine Sympathie für den Punk

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