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Hausverbot

Hausverbot

Titel: Hausverbot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mariola Brillowska
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Klautouren nicht fachmännisch bewerten würde. Weil er ja schließlich kein Psychologe war. Den hätte ich wahrscheinlich dringend gebraucht. Wie auch viele meiner Kommilitonen. Und die Professoren erst recht. Vielleicht legten meine Aktionen gerade den Grundstein für eine neue Kunstrichtung, die später als Criminal Art salonfähig werden sollte. Auf jeden Fall fand ich es besser, mich vor Böhmler erst mal nicht zu outen. Das anarchistische Onkelchen sollte bloß kein moralisches Urteil über meine ungeklärte Leidenschaft fällen. Ich hatte Angst, dass Böhmler sich doch wie ein Hippie äußern könnte. Ich schätzte ihn, und dabei sollte es bleiben. Außerdem war ich noch gar nicht fertig mit der ganzen Chose. Wenn das der Beginn der Criminal Art war, dann müssten erst mal alle Hippies, Bürger, Proleten, Spießer, Christen und Richter aussterben, damit ein sachlicher Talk stattfinden konnte.
    Vivienne Westwood und Malcolm McLaren waren nicht die Ersten, die versuchten, unabhängige Kunst zu etablieren. Aber sie erweiterten den Begriff der unabhängigen Kunst erheblich. Seit Westwood und McLaren waren Musik und Mode auch Contemporary Art . Jedenfalls am Lerchenfeld in Hamburg. Holger Hiller war Sänger bei Palais Schaumburg. Wiebke Siem definierte Kleidung als Skulptur. Und ich war womöglich dabei, die Criminal Art in den Kunstkontext einzuschleusen. Ich war mittendrin in der Ausbildung und Forschung. Dennoch war ich mir nicht sicher, was da in mir vorging. Vielleicht waren auch all meine derzeitigen Aktionen, extrem hin und her, nur eine vorübergehende Phase. Bevor ich Anton kannte, war ich schon mal kleptomanisch gewesen. Hätte ich zu jener Zeit jemandem wie meinem Lehrer davon erzählt, wäre ich wahrscheinlich von der Schule geflogen. Wie eine Irre klaute ich damals auf den Friedhöfen alles, was zur Dekoration der Gräber gehörte, Kerzen, Kruzifixe, Marias, Engel, Herzen, Rosenkränze, Schleifen, Urnen, Vasen samt Schnittblumen. Mein Zimmer sah aus wie eine Mischung aus Bestattungs- und Devotionaliengeschäft. Ich schlief in einer Art Sarg mit weißer Rüschenbettwäsche. Die Wände hatte ich rot angemalt, den Boden schwarz, die Decke rosa. Die Gardinen und Vorhänge waren auch rot, weiters die Glühbirne an der Decke. Die Zimmereinrichtung hatte ich mir selber ausgedacht und gestaltet. Es gab keinen Punk in Polen und auch keine Gruftis, die mich inspiriert hätten. Ich war eher von der Welt in den Büchern von Charles Dickens angetan. Ich hatte alles von Dickens gelesen. Ich dachte ebenfalls viel an den Tod und wollte natürlich auch sterben. Das war das Romantische an der Pubertät. Aber an dem Tag, als ich Anton zum ersten Mal sah, wurde mir meine Gruft plötzlich peinlich. Ich hielt das alles für Mädchenkram. Weil Anton fünf Jahre älter war als ich und ich ihm ebenbürtig sein wollte. Ich wollte endlich eine Frau sein, nicht mehr kindisch, nicht mehr sentimental, ein bisschen wie ein Junge oder gar ein Mann. Deswegen mussten die Blumen und die Vasen aus meinem Zimmer raus. Ich strich die Wände weiß und drehte eine gewöhnliche Glühbirne in die Deckenlampe. Die Relikte meiner Friedhofsplündereien brachte ich an ihren Ursprungsort zurück.
    Ich hielt die vielen Automaten in Hamburg für Fortschritt. Und die vielen Geschäfte bedeuteten für mich Wohlstand. Ich liebte mein Leben und stellte mir vor, ich sei ein Königskind, das sich bediente und benahm, wie es ihm gefiel. Ich genoss die Freiheit, so zu handeln, wie es mir passte. Ich ging in den Passfotoautomaten rein. Meine Taschen waren überfüllt mit Brillengestellen. Ich packte sie aus und setzte sie mir alle aufs Gesicht. Ich war vermummt. Ich sah toll aus. Auch wenn man mich nicht erkennen konnte. Ich fütterte den Automaten mit Münzen. Ich machte Selbstporträts. Ich machte Kunst. Und Kunst machen machte mir Spaß. Ich wartete, bis der Automat die Fotos rausspuckte. Ich nahm sie mit. Ich ging zum Lerchenfeld in die Kantine. Ich zeigte jedem die Fotos. Die Begeisterten beschenkte ich mit den Brillengestellen: Hallo, Kinder, heute gibt es keine Bonbons, dafür aber Designerbrillen . Eigenes Glück zu verteilen war noch mehr, als das Glück zu empfinden. Das grenzte an Euphorie. Ich platzte beinahe vor Gefühlen. Ich verließ die Kantine. Ich nahm den Fahrstuhl in den dritten Stock zur Böhmler-Klasse. Ein paar Kommilitonen malten gelangweilt an ihren faden Bildern. Ich hatte keinen Bock mehr auf Kommunikation. Ich kletterte in mein

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