Hausverbot
ich die ganze Zeit nach jemandem suchte, so richtig binden wollte ich mich dann doch nicht. Als ich einmal aus Versehen schwanger wurde, trieb ich schleunigst ab. Im Geheimen hoffte ich, dass ich eines Tages wieder mit Anton zusammen sein würde. Wie das gehen sollte, war mir nicht klar, das war nur so ein unterbewusster Wunsch. Ich hatte Anton seit meiner Abreise nach Deutschland nie wieder gesehen. Damit waren wir einfach kein Paar mehr. Er hatte sich für Asia entschieden, ich für das Leben im Ausland. Und scheinbar störte es weder ihn noch mich, dass wir immer noch verheiratet waren. Keiner von uns kümmerte sich um die Scheidungsformalitäten.
Für mich bedeuteten diese wechselnden Beziehungen nach Anton Erwachsenwerden. Das war alles schon auch richtig so. Wann sollte ich denn sonst meine sexuellen Erfahrungen sammeln, wenn nicht eben jetzt, wo ich jung und ungebunden war. Ich machte so ziemlich alles mit. Für mich waren das Experimente. Und Experimentieren unterlag dem höchsten Gebot in meinem Studium der Freien Kunst. Aber heute hatte ich echt kein Selbstbewusstsein. Ich hatte Hunger, und im Atelier hatte keiner was zu essen liegen gelassen.
Apage, Satanas schallte mir in den Ohren. Mir stand bevor, im Vorwerkstift die Trümmer wegzuräumen. Inzwischen war es schon zwölf Uhr am Mittag. Ich ging zur U-Bahn und fuhr ins Karoviertel. Langsam ging ich die Marktstraße hinunter. Überall an den Wänden und Fenstern hingen noch meine Ausstellungsplakate, die ich im ganzen Viertel aufgehängt hatte. Ich mochte sie sehr. Sie waren gerade meine stillen Freunde, die einzigen. Ich kaufte Brot und Aufstrich bei ›Penny‹. Ich bog in die Vorwerkstraße ein. Der Schlachthof stank wie eh und je. Ich näherte mich dem Vorwerkstift. Mir war bange zumute. Ich sah alle meine sieben Mitbewohner vorm Hauseingang warten. Bärbel Reimer, Heinrich Schnabel, Dorle Schmid und Amador Scardovelli lehnten militant an der Tür, während Felix Schröder, Kapitän Engelhard und Sybille Hofter auf der Treppe saßen. Sie diskutierten. Sie entdeckten mich.
Bärbel: Da ist sie!
Heinrich: Du musst ausziehen.
Ich: Mann, ich habe nichts getan, diese Feuerlöscher haben irgendwelche Typen losgelassen, als ich gerade auf dem Klo war.
Dorle: Komm, Lola, das sind deine Freunde.
Ich: Das waren meine Freunde.
Amador: Putz die Flure und zieh Leine!
Meine Güte, was pissten sich diese Wichser denn an? Sie mussten doch alle keine Miete bezahlen. Was verlangten sie eigentlich? Nicht sie, sondern ich hatte gestern eine Ausstellungseröffnung. Nicht wegen ihnen, sondern wegen mir kam gestern Prominenz ins Haus. Nicht sie, sondern ich hatte das Haus klargemacht. Nicht sie, sondern ich hatte sie in das Haus einziehen lassen. Sie spielten sich auf, waren aber nicht der Chef hier. Sie kamen mir so kleinlich, so spießig vor. Ich fühlte mich ihnen so überlegen. Ich mochte auch keinen mehr von ihnen leiden. Seit wir ins Vorwerkstift zusammengezogen waren, hatte ich mit keinem von ihnen Freundschaft geschlossen. Weil sie alle wahnsinnig egoistisch waren. Bärbel lieh sich ständig bei mir den tragbaren Fernseher und brachte den nie zurück. Dorle ließ sich andauernd bekochen, machte aber selber niemals Essen. Heinrich spendete ich permanent Ideen für seine Plakate, er schenkte mir dennoch nie eins. Amador schlich immer in mein Bett und blieb trotzdem niemals bis zum Frühstück. Felix borgte ich notorisch Geld und bekam keins zurück. Ich lachte immer über Kapitäns Geschichten, während er ständig so tat, als verstünde er mich nicht. Für Sybille klaute ich hin und wieder Filzer von Pantone, durfte sie aber kein einziges Mal benutzen. Die sollten mich doch alle mal am Arsch lecken. Die kleingeistigen Spackos sollten ihren Kram ohne mich weitermachen. Für demnächst hatten sich sowieso die neuen Patrone von der Patriotischen Gesellschaft angekündigt. Im Vorwerkstift sollten nur diejenigen wohnen bleiben, die täglich an der Hausrenovierung werkelten. Mir grauste es sowieso die ganze Zeit davor. Ich war für so was nicht geschaffen. Nach meinem Einzug hatte ich versucht, in meiner Wohnung die Wand zwischen Küche und Arbeitsraum rauszureißen, weil dort alles so klein war, eben altersheimmäßig. Ich haute mit dem Hammer auf einen spitzen Metallbolzen ein. Nach zwei Stunden hatte ich gerade mal einen Ziegelstein rausgekloppt. Die Wand hatte endlich ein Loch. Viel Schutt lag auf dem Boden. Ich schaute mir das an. Ich konnte nicht mehr. Mit
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