Hausverbot
Subventionen von der Kulturbehörde, und wir werden erst mal nur zwei Mark pro Quadratmeter zahlen müssen. Paulsen wird sich an uns nicht bereichern, aber ihm geht es eh um was anderes. Der Deal mit der Stadt ist, dass er auf der Fleetinsel ein Steigenberger-Hotel und eine Privatklinik bauen darf.
Alles klar. Endlich hatte ich das Handeln von Paulsen verstanden. Er war kein Linker, der für die Gerechtigkeit kämpfte. Er vertrat die Künstler in Prozessen, um sich bei den Politikern als Kulturfreund zu etablieren. Das hätte ich mir bei den Kolonialmöbeln in seiner Kanzlei und den Horst-Janssen-Bildern an den Wänden eigentlich denken können. Na ja. So war halt die Welt. Ob im Kommunismus oder im Kapitalismus, irgendwo wusch immer eine Hand die andere.
Das illegale Wohnen auf den dreihundert Quadratmetern hatte Vor- und Nachteile. Beim Raus- und Reingehen durften wir nicht vergessen, die Türklinke zu entfernen und an einer verabredeten Stelle zu deponieren, wo Gina nicht dran kam. Sie transportierte mit ihrem Dreirad den ganzen Tag irgendwelche Sachen von A nach Be und von Be nach Ce. Keiner regte sich über die Verstreuung auf. Keiner räumte auf. Wenn wir was suchten, fragten wir einfach Gina, und sie führte uns dahin, wo es lag. Trotz ihrer zwei Jahre verstand sie alles wunderbar. Sie konnte auch ihren Namen, ihr Alter und ihre Adresse auf Deutsch und auf Polnisch sagen. Das hatte ich ihr beigebracht, weil sie ständig weglief. Ich hatte Angst, dass sie es schaffen könnte, sich zu weit zu entfernen, und dann hätte sie geweint. Das sollte sie auf keinen Fall. Ich wollte auf dem quiekglücklichen Gesicht von Gina niemals Tränen sehen. Ihr Dasein milderte die emotionale Last meiner eigenen Kindheit, die mich einerseits draufgängerisch gemacht hatte, andererseits stand ich mir deswegen dauernd selber im Wege. Das hatten mir die Leute schon ein paar Mal gesagt, auch neulich Milena. Dabei ging es um James. Warum ich mich auf einen Typen ohne Geld eingelassen hätte, der die finanzielle Verantwortung für die gegründete Familie nicht übernehmen konnte. Das fragte ich mich auch. James bemalte ohne Plan riesige Leinwände mit Farbe. Nach wie vor träumte er davon, berühmt zu werden. Dafür trieb er sich aber viel zu wenig in der Öffentlichkeit rum. Wenn wir zusammen hin und wieder zu einer Vernissage gingen, schimpfte er nur, wie schlecht die Kunst sei. Da hatte er ja auch recht. Weil er aber keine Freundlichkeit ausstrahlte, wechselte mit ihm kein Galerist, kein Mäzen, kein Sammler auch nur ein einziges Wort. Obwohl wir beide viel auffälliger als alle anderen Künstler gekleidet waren. Ich vermutete, dass sie sich vor uns fürchteten. Schließlich hatten wir auch Gina und Romek dabei, mit denen ich polnisch sprach.
Es machte mir einen großen Spaß, diese Lackaffen mit unseren befremdlichen Auftritten zu provozieren. Außer Piotr Nathan kannten die Hamburger keine Polen. Sie fuhren nie nach Polen. Einmal, weil ihre Autos gestohlen werden könnten, aber auch, weil sie sich für das Land nicht interessierten. Deswegen respektierten und bewunderten sie es nicht. Wenn auf einer Party eine Französin auftauchte, wollte sie jeder kennenlernen, egal wie naiv sie war. Wenn ich sagte, ich käme aus dem Frankreich des Ostens, wusste keiner, was ich meinte. Sie kannten weder die Geschichte des großen Nachbarn noch seine Nationalhelden. Sie wussten nicht, dass Maria Walewska Bonaparte die Eroberung von Europa ermöglicht hatte. Sie kannten keine einzige Zeile der polnischen Nationaldichter Adam Mickiewicz, Czesław Miłosz und Wisława Szymborska, obwohl wir in der Schule die polnischen Übersetzungen von Goethe und Schiller sogar hatten auswendig lernen müssen. Sie hielten Nikolaus Kopernikus, Frédéric Chopin, Madame Curie, Tadeusz Kantor, Stanisław Lem nicht auf Anhieb für polnische Staatsbürger. Sie hatten weder von Kapuściński, Gombrowicz, Hłasko, Mrożek je was gehört noch gelesen. Daher konnten wir uns auch nicht unterhalten und miteinander lachen. Das nervte mich echt. Frustriert schlich ich auf den Vernissagen an aufgetürmten Weingläsern vorbei und stieß sie ganz unauffällig an. Hin und wieder fiel ein Glas auf den Boden und zerplatzte. Ich hörte das Klirren und empfand etwas Befriedigung. Ich rief meine Mannschaft zusammen, und wir gingen heim. Wir wussten nie, was uns erwartete, wenn wir die Tür öffneten. In unserer Abwesenheit hätte der Paulsen doch die Schlösser austauschen lassen
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