Hausverbot
Filmförderung und legte los. Es sollten zwanzig Minuten animiert werden. Jeder, mit dem ich darüber redete, sagte nur Oha. Ich pinnte einen Zettel ans Schwarze Brett in der HaEfBeKa, dass ich einen Praktikumsplatz anzubieten hätte, und zwar für jemanden, der sich ein wenig mit Zeichentrickfilm auskannte. Am nächsten Tag stand vor mir eine einarmige Frau. Das passte. Grabowski und alle anderen Figuren in meinem Film hatten auch nur ein Auge. Die einarmige Frau hieß Uli und hatte tatsächlich Ahnung. Ich begriff rasch. Für die Herstellung des Films musste ich ein paar talentierte Zeichner engagieren, die jeden Tag bei mir wie in einer Manufaktur arbeiteten. Tatsächlich. Das war ein ganz anderer Schnack als dieses elende Leben als freier Künstler. Da hatte ich mir aber was vorgenommen. Ich förderte die erste Filmgeldrate an.
X
Wenn es draußen kühler wurde, roch der Friedhof intensiver nach Laub und Tanne, Erde und Leiche, Schimmel und Stein … Dieser Satz schwirrte in meinem Kopf wie ein Mantra. Ich hatte ihn vor mehr als zwei Jahren für meinen Film ›Grabowski, Haus des Lebens‹ gedichtet. Noch bis vor ein paar Tagen drückte er jenes Gefühl aus, das Grabowski in meiner Vorstellung empfand, wenn er ein Grab ausbuddelte. Nun passte dieser Satz wie die Faust aufs Auge zu der Szene, in der ich gerade die Hauptrolle spielte. Diese Szene gehörte zu keinem Zeichentrickfilm und sie war auch nicht fiktiv. Keineswegs. Vor mir spielte sich die purste Realität ab, die unverfälschte Wahrheit, das wirkliche Leben, der reale Tod.
Ich schaute voller Ekel zu, wie zwei Bauarbeiter eine Grabstätte ausschaufelten. Sie beeilten sich, weil sie schon woanders gebraucht wurden. Wegen der Hetze, aber auch weil sie betrunken waren, verletzten sie sich gegenseitig mit dem Spaten. Ihre mit Schorf übersäten Hände bluteten. An den groben Fingern klebten schmutzige Pflaster. Ich stand auf wackeligen Beinen am Rande des Grablochs. Meine High Heels steckten tief im matschigen Boden mitten in der Pampa. Ich befand mich auf einer ehemaligen Müllkippe, die die Stadt vor ein paar Monaten mit einer dicken Schicht aus Lehm zugeschüttet hatte, um sie als Friedhof zu nutzen. Es gab noch kaum Gräber hier. Die einzelnen, aus gelber Masse geformten Erhebungen sackten nach und nach in sich zusammen. Dieser Totenacker lag am Abhang. Der Regen spülte die frischen Ruhestätten Stück für Stück runter. Niemand kümmerte sich um sie. Meist wurden sie nach ein paar Wochen ebenerdig. Einzig die dürftigen Holzkreuze mit den Namensschildern verwiesen auf die Stellen, wo unter dem Lehm eine Leiche im Sarg oder nur im Sack begraben lag. Die verwelkten Kränze hingen noch dran. Der Geruch von Laub und Tanne fehlte. Auf dieser Brache wuchs nichts, kein Baum, kein Ast, kein Stängel. Die Bauarbeiter schauten zu mir auf. Ich nickte als Zeichen dafür, dass ich das Grabloch für tief genug hielt. Die Männer krochen hoch. Sie hoben den Sarg von der Sackkarre und ließen ihn an Gurten hinunter. Sie zogen die Gurte raus. Sie schmissen eine Handvoll Lehm auf den Sarg. Sie entfernten sich wortlos. Die Handlung fror ein. Niemand bewegte sich. Alle Anwesenden warteten. Ich nahm einen Lehmbrocken in die Hand, zerkleinerte ihn und warf ihn ins Grab. Die Anwesenden taten es mir nach. Ich ging ein paar Schritte zurück. Ich flüsterte mit dem Bestatter. Er ging schnell weg. Ich nahm Gina und James an den Händen. Wir folgten dem Bestatter zum Ausgang. Ich drehte mich nicht um. Ich wollte nichts mehr sehen. Ich wollte nichts mehr hören. Ich wollte mit keinem der Trauergäste reden. Bis auf meinen Vater und den Onkel Marek kannte ich keinen dieser Menschen. Auch sie kannten mich nicht. Dennoch wussten sie, dass ich dieses Begräbnis ausgerichtet hatte. Niemand hielt eine Rede. Auch ich schwieg wie ein Grab. Kein Priester trudelte ein. Die Trauergäste schauten irritiert rum. Sie wollten erfahren, wo der Leichenschmaus stattfand. Aus der Entfernung beobachtete ich, wie die Bauarbeiter den Sarg vollständig zuschütteten. Sie schaufelten immer mehr Lehm obendrauf, bis sich ein Grabhügel bildete. Der Bestatter lehnte an seinem Wagen mit einem Quittungsblock in den Händen. Er nannte den Preis. Ich bezahlte ihn. Der Bestatter sagte, dass ich mir das Geld von der Versicherung gegen die Vorlage der Sterbeurkunde zurückzahlen lassen konnte. Ich wurde rot. Es fiel mir ein, dass ich die Urkunde meinem Vater gegeben hatte. Er hatte sie unbedingt haben wollen. Ich
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