Hausverbot
Vielleicht beginnst du von da an endlich mal zu denken, du Oberdepp vom Randgebiet.
Ich war echt drauf. Ich tat es wirklich. Schnell und vergnüglich kippte ich der Bulldogtürschranke den Inhalt der Gläser über den Kopf. Dabei bedauerte ich zutiefst den Verlust des Schnapses. Die Bestie blieb selbstverständlich nicht ruhig. Sie zog mich an den Haaren zu Boden. Kein Mensch reagierte. Romek sprang auf. Ich bildete mir ein, dass Romek den Einlasser virtuos mit zwei geschmeidigen Kungfu-Griffen umlegte. Ich applaudierte. Leider verfügte Romek nicht über solche Techniken. Ich zog ihn schnell zur Seite, bevor das nass gewordene Muskelpaket aggressiv und vernichtend reagierte. Wir liefen weg. Wir schauten uns nicht um. Wir wussten genau: Im ›Marylou‹ brauchten wir uns erst mal nicht mehr blicken zu lassen. Dort hatten wir bestimmt auch Hausverbot. Immerhin hatte ich etwas Geld ergattert. Ich musste mich erst mal beruhigen. Wir gingen essen ins ›Man Wah‹. Dort hatte die Küche bis zwei Uhr nachts geöffnet. Romek stand unter totalem Kulturschock. Sankt Pauli bei Nacht mit den überall blinkenden, flackernden, aufreizenden Neonlichtern, zwei abenteuerliche Clubbesuche, das allererste asiatische Gericht im Leben und obendrein die Schwester, die überall Ärger bekam. Romek hatte das alles noch nie gesehen, nie erlebt, nie gegessen, nie geahnt. Er kam wie ich aus der Gosse und hatte lieber Ordnung statt Chaos um sich. Er wusste nicht, ob das alles normal war oder ob er gerade zufällig vom Regen in die Traufe geriet. Leider konnte ich ihm das auch nicht sagen. Ich wusste selber nicht, ob für so einen Menschen wie mich das kapitalistische System die bessere Alternative war, als im Kommunismus zu leben. Ich war ja absolut gegen diesen überflüssigen Konsum. Ich hatte wie eine Verrückte geklaut, weil ich diesen Wohlstand verachtete. Aus dem gleichen Grunde trickste ich bei den Rechnungen an den Bars, prellte laufend die Zechen, schlich mich in Veranstaltungen, ohne Eintritt zu bezahlen. So was ging ja doch nur, weil die Läden überfüllt waren. Da wurde die Kasse gemacht. Im Kapitalismus gab es keine Armut, höchstens war jemand in Not, weil er sich zu dumm angestellt hatte. Die Boulevardzeitungen berichteten darüber Tag und Nacht. Die Sozialarbeiter hatten auch deswegen gut zu tun. Im Kommunismus musste jeder überleben. Im Kapitalismus sollte sich jeder bereichern. Wenn er keinen Mehrwert erwirtschaftete, entzog ihm der Staat die Lizenz zum Freien Menschendasein. Dann musste man sich arbeitslos melden, sich vom Staat aushalten lassen und dem Arbeitsmarkt für Drecksjobs zur Verfügung stehen. Dennoch gab es im Kapitalismus Obdachlose, Aussteiger, Hausbesetzer, Bauwagenbewohner, Alternative, Autonome, Stadtguerillas. Sie wollten sich vom Staat nicht bevormunden lassen, und sie pfiffen auf die Geldvermehrung.
Wir kamen um ein Uhr nachts nach Hause. Mann, war dieses neue Schlafzimmer aber eng. Wir legten uns ganz leise aufs Ohr, um Gina und James nicht zu wecken. Romek flüsterte mir noch zu, dass ihm die hohe Decke Angst mache. Der hatte echt Probleme. Ich sagte nichts. Ich schloss die Augen und atmete ganz langsam. Eine Viertelstunde später saßen wir alle vier kerzengerade auf unseren Matratzen. Aus dem Nebenraum dröhnte laute Musik herüber. Unsere Nachbarn spielten elektrische Gitarren. James klopfte gleich mal bei denen an. Er bat sie, die Musik leiser oder über Kopfhörer zu spielen. Sie sagten, dies sei ein Bürohaus und bisher hätte sich noch nie jemand beschwert, weil alle Mieter nach siebzehn Uhr weg wären. James sagte, wir hätten ein kleines Kind, das schlafen müsse. Die Musiker machten James einfach die Tür vor der Nase zu und spielten weiter. Ich stand auf und klopfte noch mal bei denen an. Sie reagierten nicht. Romek stellte sich dazu. Wir klopften zusammen. Keiner machte auf. Romek trat wütend gegen die Tür. Die Tür fiel aus dem Rahmen. Die Musiker guckten uns blöd an. Wir guckten blöd zurück. James kam in den Flur mit Gina auf dem Arm. Einer von den Typen griff nach dem Telefonhörer und rief die Polizei an. Die Wache war original zwei Häuser weiter. Eine Minute später standen schon zwei Beamte vor uns und machten Bestandsaufnahme.
- Wieso ist das Kind hier?
- Weil wir hier sind.
- Wo wohnen Sie?
- Hier.
Es war eine Farce, wie stets mit den Bullen. Immerhin versiegelten sie den aufgebrochenen Raum. Die Musiker verpissten sich nach Hause, und wir konnten weiterschlafen. Am
Weitere Kostenlose Bücher