Hausverbot
durch. Vieles musste das Finanzamt schätzen, weil nichts schriftlich vorlag, und ich konnte es nachträglich auch nicht mehr beschaffen. Wegen der Mängel musste ich Bußgeld bezahlen. Seitdem wurde meine Steuernummer beobachtet. Dabei war bei mir wirklich nichts zu holen. Von solchen Freiberuflern wie mir gab es etliche in Hamburg und in ganz Deutschland. Sie lebten von der Hand in den Mund, wurden aber vom Finanzamt wie Steuerhinterzieher behandelt. In meinem Fall vermutete ich da sogar eine Schikane gegenüber ausländischen Bürgerinnen. Ich hörte von Bekannten, dass eine chinesische Heilpraktikerin, eine bulgarische Architektin und eine russische Goldschmiedin genauso oft wie ich geprüft wurden. Komischerweise hörte ich dasselbe nicht über deutsche Freiberuflerinnen.
Einmal entdeckte mein Steuerprüfer innerhalb der Ausgaben für Arbeitsmaterial eine Quittung für eine Packung Damentampons. Daraufhin legte ich ihm die Abbildung meiner Installation ›Lolas Zimmer‹ in einem bereits veröffentlichten Kunstkatalog vor. Zwischen dem Gewühle aus Röcken, Blusen, Büstenhaltern, Schlüpfern, Strapsen, Stöckelschuhen, Krawatten, Gürteln, Perücken, Lippenstiften, Dildos, Kunstwimpern, anklebbaren Nägeln, Nagelfeilen, Pinzetten, Ketten, Ohrringen und Armbändern, die ich für meine Performances benutzte, markierte ich mit einem Post-it einen Tampon. Der Steuerfuzzi wollte wissen, warum der Tampon Kunst sei. Ich war bekanntlich nicht auf den Mund gefallen. Ich hatte immer eine Antwort parat. Wenn ich was nicht wusste, gab ich es nicht zu. Ich improvisierte philosophisch drauflos. Diesmal fiel es mir aber irgendwie schwer, dem Steuerhannes mein Treiben zu erklären. Denn alles, was ich tat, war Kunst, weil ich es für Kunst hielt. Seit über hundert Jahren, seit Beginn der Moderne, hing die Kunst mit dem privaten Leben der Künstler zusammen. Mein Zimmer sah nun mal eben so chaotisch aus, wenn ich nachts nach einer Show todmüde die Taschen ausleerte und mein Zeug auf den Boden schüttete. Wenn ich morgens aufwachte, fand ich das Chaos schrecklich. Weil Chaos noch mehr Chaos verursachte. Ich brauchte kein Chaos. Ich brauchte viel Ordnung. Tatsächlich beschäftigte ich mich in meiner Kunst einzig und allein mit dem Aufräumen. Weil mein Leben aus Chaos bestand.
Künstler, die das aufgeräumte Leben eines gemeinen Bildungsbürgers führten, gab es nicht. Korrekten Pedanten ohne markante Identität gehörte meiner Meinung nach der Künstlerstatus abgesprochen. Ich wäre auch dafür gewesen, Wolfgang Goethe nachträglich seinen Dichtertitel abzuerkennen. In der Gegenwart gab es ebenfalls einige Betrüger, die sich zu Rebellen der zeitgenössischen Kunst stilisierten, obwohl sie eigentlich nur reich und berühmt werden wollten. Das beste Beispiel war dafür jener Immendorff. Der hatte sich nicht wie ich bereits mit fünfzehn Jahren für das brotlose Künstlerdasein entschieden. Bevor er begann, in Galerien auszustellen, hatte er sicherheitshalber erst mal brav auf Lehramt studiert und anschließend mehr als zehn Jahre als Hauptschullehrer gearbeitet. Trotzdem wollte er freier Künstler werden. Er hatte auch schon früh einen Galeristen, aber leider keine guten Ideen. Der Galerist verkuppelte ihn mit dem ebenfalls grauenhaft untalentierten Schmierfink A. R. Penck aus Ostdeutschland. Von da an gab Immendorff in der Öffentlichkeit damit an, mit Penck befreundet zu sein und ein Ost-West-Künstlerkollektiv aufzubauen. Diese Information fanden die Käufer interessant. Die Karriere von Immendorff ging los. Der Maler wurde reich und berühmt und für seine Kokserei auch berüchtigt. Für mich war Immendorff der Dieter Bohlen der Kunst: ein selbstsüchtiger Populist und interessant höchstens für die Boulevardpresse. Er benahm sich genau so, wie die Nation sich einen Künstler vorstellte, arrogant, protzig, machohaft. Wäre er ein echter Künstler gewesen, hätten sich die Medien mit ihm gar nicht befasst. Er wäre eher ein Fall für den Psychiater gewesen. Ein wahrer Künstler bewegte sich am Rande der Moral. Er glich einem Triebtäter. Er konnte nicht anders, als immer wieder die Grenzen zu überschreiten. Ihn hatten die Gene einfach zum Anderssein verdammt. Er war ein Störenfried und bekam obendrein Hausverbote, so wie ich. Das hieß, die Gene und nicht die Sozialisation und das politische System, in dem ich aufwuchs, waren schuld daran, dass ich immer alles anders als die anderen machte. Sonst wären meine Familie
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