Hausverbot
und alle Polen genauso wie ich. Was sie nicht waren. Ich war eine absolute Ausnahme vor dem Herrn. Mit meiner Familie hatte ich sowieso nie was am Hut gehabt. Es war der purste Zufall, dass ich bei denen zur Welt gekommen war. Der Tod meiner Schwester hatte die Fronten endgültig geklärt. Seitdem hatte ich den Kontakt zu meiner Familie abgebrochen. Zwar fühlte ich mich dabei richtig miserabel, aber es ging ja nicht anders. Weil ich mein Leben nicht verschwenden wollte. Für mich war der Tod meiner Schwester eine Warnung. Ich hatte Angst, dass mir alsbald auch was Schlimmes geschehen könnte. Damit das nicht passierte, entschloss ich mich, von nun an jegliche Begegnung mit meinem Vater, meiner Mutter und meinem Bruder radikal zu unterbinden. Wenn mein Bruder anrief, legte ich den Hörer einfach auf. Ich wandelte mich im Inneren, als hätte ich an mir eine Geschlechtsoperation vorgenommen. Ich wurde ein anderer Mensch. Nur mein Kunstauftrag blieb konstant.
In Hamburg war ich nicht nur die Einzige in den Kunstkreisen, die aus Polen stammte, sondern auch die Einzige, die Entertainment in die steife bildende Kunst brachte. Vielleicht war ich auf diesem Gebiet die Einzige in ganz Deutschland. Und für die Landsleute daheim war ich die einzige polnische Künstlerin, die in Deutschland lebte. In der Öffentlichkeit wurde ich als eine deutsch-polnische Künstlerin bezeichnet. Durch die Doppelstaatlichkeit repräsentierte ich trotzdem weder die Polen noch die Deutschen. Ich war Made in Germany from Poland und kam den Leuten wie ein Ufo vor. Meine Originalität schmeckte wirklich keinem so richtig, nur mir selbst und meiner ach so kleinen, ach so nischenhaften, ach so speziellen Fangemeinde. Hinter und vor mir lag ein elend langer, steiniger Weg zum Licht, den ich stolz und ungebrochen seit meiner Kindheit voranschritt.
Ich hatte einen richtigen Groll auf den Steuerpimmel. Weil ich seinetwegen auf einmal selbstmitleidig wurde. Ich grübelte über mein Schicksal nach. Ich musste das Heulen ganz schön unterdrücken, wenn ich an meine Jugend denken musste. Da mich damals niemand motivierte. Niemand finanzierte mich. Niemand verlangte nach mir. Aber ich hatte das trotzdem alles überlebt. Leider war ich noch nicht angekommen, und noch wusste ich nicht, ob ich je das Ziel erreichen würde. Dennoch gab ich nicht auf. Egal, wie viele Steuerbanausen mir in die Quere funkten. Schwamm drüber. Das Leben war voller Tücken, und das Künstlerleben blieb nicht verschont davon.
Meine Installation ›Lolas Zimmer‹ war ja überhaupt nur deswegen zustande gekommen, weil ich diesen chaotischen Showhaufen einfach fotografiert hatte, bevor ich ihn wegräumte. Ich erkannte seine Schönheit. Und genau an dieser Stelle hatte der Steuerfuchs ein Problem. Ein schrecklicher Berg aus Lumpen und Kram galt im bürgerlichen Sinne als hässlich. Man sah so was doch nirgends, weder in den ›Ikea‹-Katalogen noch in den Schaufenstern der mondänen Möbelhäuser und auch nicht in den Wohnungen der Künstler. Diese Unordnung war trotzdem Kunst, und obendrein wurde sie von mir gelebt. Dass sich ein Damentampon dazwischenverirrte, war genauso wie ich selbst reiner Zufall. Wenn auch ein sehr wichtiges Detail. Die Salzprise im Pfannenkuchenteich, das i-Tüpfelchen, das dieses Kunstwerk in eine echte Rarität verwandelte. Weil der Tampon den zerstörten Glamour lebendig machte. ›Lolas Zimmer‹ beinhaltete lauter Attrappen, die ein gewöhnliches Leben künstlich werden ließen. Einzig der Tampon zeigte, dass die Dinge in der Installation tatsächlich einer Frau und nicht einem Transvestiten gehörten. Und das war von wesentlicher Bedeutung. Womöglich befand sich mein künstlerisches Streben auf dem Weg in eine andere Dimension. Ein Journalist schrieb über mich, ich würde Toiletten-Kunst ausstellen. Das fand ich sogar treffend. Die schmuddelige Welt musste sich in den aufgeräumten Kunsträumen ausbreiten, damit sich die permanente Hochnäsigkeit dahin verzog, wo der Pfeffer wuchs. Wahrscheinlich hätte mich das Steuermännchen auch für hochnäsig gehalten, wenn ich auf diese Weise argumentiert hätte. Ich überlegte, ob ich ihm verraten sollte, dass sich noch mehr Quittungen für Tampons in meinen Steuerunterlagen befanden.
Tatsächlich benutzte ich sehr oft Tampons oder andere Artikel zur Damenhygiene als Requisite. In einem meiner Slapsticks gebar ich ein Kind auf der Bühne. Um die Niederkunft zu beschleunigen, buddelte der Gynäkologe und
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