Hausverbot
geschrien hat, weil ich Angst bekommen habe, dass meine Mitbewohnerin denken könnte, in meinem Zimmer würde eine Frau vergewaltigt.
- Hallo, Heike. Erstens, das vorhin war ein Mann, der geschrien hat. Zweitens, die Aufnahme stammt aus einem Theaterstück von Fernando Arrabal. Er ist ein weltberühmter Dichter und Dramatiker. Er ist der letzte Surrealist, der noch lebt. Bei ihm zu Hause stehen Picassos, Dalís und Matisses auf der Heizung. Er hängt sie gar nicht auf, weil er einfach kein Spießer ist. In Deutschland wurden sehr viele Doktorarbeiten über seine Theaterstücke geschrieben. Das Hamburger Filmbüro hat mich gerade mit einer Drehbuchförderung bezuschusst, damit ich mit Fernando Arrabal demnächst zusammenarbeiten kann. Er wird für mich eine Kurzgeschichte schreiben. Meine ersten Gedichte entstanden unter dem Einfluss seiner Lyrik. Arrabal ist nur ein Meter sechzig und trotzdem ein großer Mann. Kennst du den eigentlich?
- Nein, will ich auch nicht kennenlernen, du sendest auf der Frequenz des Freien Sender Kombinats. EfEsKa ist ein Minderheitensender, der sich durch Beiträge finanziert. Ich zahle diese Beiträge und will kein Sex…
Eigentlich war Heike mit ihrem Satz nicht ganz fertig, bloß Adrian schaltete sie einfach ab. Wahrscheinlich wollte sie sagen, dass sie kein Sexgeschrei hören wollte. Ihre Art zu sprechen ließ mich vermuten, dass Heike der Minderheit der betroffenen Lesben angehörte. Diese Spezis breiteten sich immer mehr auf EfEsKa aus, entweder als Radiomacherinnen oder als Zuhörerinnen. Seit Neuestem machten sie sogar eine Sendung für Junglesben. Sie benutzten für alle Substantive mit männlichen Artikeln weibliche Formen. So nannten sie den Salzstreuer die Salzstreuerin und meinten es ernst. Sie hatten überhaupt keinen Humor und mussten deswegen zum Lachen nicht in den Keller gehen. Für sie gehörten Männer ausgerottet. Jede Frau, die mit Männern verkehrte, hielten sie für eine Kollaborateurin. Sie interessierten sich nur für Vergewaltigung, Unterdrückung, Beschneidung, Valerie Solanas, Elfriede Jelinek und Alice Schwarzer. Aus Protest spielte Adrian ›Kleines Stubenmädchen‹ von Andreas Dorau, ein Lied, in dem der Schuldirektor einer Schülerin ein wenig Spaß abverlangt. Ich zündete mir eine Zigarette an. Adrian ging aufs Klo. Ich kippte den Wein runter. Der Song lief aus. Ich moderierte: Lola Love im Liebenskrankenhaus Radio Las Vegas . Jemand ballerte an die Studiotür. Ich rief: Was geht da ab? Eine männliche Stimme antwortete: Machen Sie sofort die Tür auf, es wurde eine Anzeige gegen Sie erstattet. Sie propagieren Sex ohne Lizenz! Ich stand auf und riss genervt die Tür auf, die ja gar nicht verschlossen war. Vor mir stand Adrian und grinste. Keiner hatte nur annähernd so hübsche Vampirzähne. Der Mann aß mir nicht aus der Hand wie all die anderen bisher, aber wenn er mir in die Augen schaute, musste ich ihm alles verzeihen. Ich schrie: Oh, Herr Wachtmeister, was machen Sie denn hier? Adrian brüllte autoritär, professionell, überzeugend: Frau Love, räumen Sie auf der Stelle Ihre Sachen zusammen. Ich nehme Sie hiermit fest. Mir liegt eine Anzeige wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses vor. Außerdem muss ich sofort Ihre Personalien überprüfen. Sie haben so einen ausländischen Akzent. Sind Sie überhaupt im Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung? Wir hatten einen riesigen Spaß. Die ganze Zeit ließen wir irgendwelche Sachen umfallen und schubsten uns gegenseitig an, damit meine Festnahme für die Zuhörer glaubwürdiger klang. Nachdem ich endlich aus dem Studio abgeführt worden war, tauchte die Stimme von Adrian wieder auf. Er bat die Zuhörer um Verzeihung, er könne die Sendung nicht mehr fortsetzen, weil er mich gleich suchen wolle. Zum Abschied sagte er noch Gute Nacht , legte ›Jonny, du Lump‹ von Holger Hiller auf und verließ das Studio. Er muss ganz schön gestaunt haben, als er mich in der EfEsKa-Küche umringt von zehn betroffenen Lesben sah. Um drei Uhr nachts wollten sie mich lynchen und Adrian an den Eiern aufhängen. Sie sagten, das wäre das letzte Mal gewesen, dass ich mein ›Radio Las Vegas‹ senden durfte. Sie fragten mich, ob ich nicht gewusst hätte, dass ich bei EfEsKa eine Persona non grata sei. Nein, das war mir nicht bekannt. Ich hatte mit dem ganzen Laden nichts zu tun. Ich zahlte nicht mal Beiträge. Ich nutzte diese Frequenz nur, um meinen Liebeskummer zu verkünden. Als Dichterin empfand ich alles stärker als der
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