Hautnah
darüber.
Bei der Durchquerung des riesigen Wohnzimmers – für die sie dieselbe Anzahl Schritte benötigte wie daheim in Brighton für ihr ganzes Haus – stellte Lara fest, dass das, was sie zunächst für einen Teppich gehalten hatte, in Wirklichkeit ein mit persischen Mustern bemaltes Bodentuch war, wie man es für Bühnenbilder im Theater benutzte. Das »antike« Bücherregal an der krummen, holzvertäfelten Wand bestand in Wirklichkeit aus MDF -Platten, die irgendjemand auf alt getrimmt hatte. In den Ecken des Zimmers tummelte sich ein Sammelsurium aus Sofas und Sesseln, die stilistisch eine Bandbreite von Shakespeare bis Ibsen abdeckten. Dazu gesellte sich noch ein Tennessee-Williams-Beistelltischchen, das für einen Hauch zwanzigstes Jahrhundert sorgte. Und erinnerte der geschwungene Bambusstuhl nicht an Pinter? Lara musste schmunzeln. James und Betty hatten das Haus mit alten Stücken aus dem Fundus eingerichtet.
Drei große Fenster boten Blick auf ein leicht heruntergekommenes, aber idyllisches Panorama aus grünen Wiesen, hohen Laubbäumen und neoklassizistischen Häusern, von deren Fassaden die Farbe abblätterte. Es roch nach Feuchte und etwas anderem, fast wie Muskatnuss – süß, aber mit einer leichten Verwesungsnote. Lara versuchte, eins der Fenster zu öffnen, um frische Luft in den staubigen Mief zu lassen. Leider hatte irgendein Schwachkopf, vermutlich während der Wintermonate, die Rahmen so dick mit Farbe überpinselt, dass sie wie festgeklebt waren.
Lara ging geradeaus weiter durch einen bogenförmigen Durchgang in die geräumige, mit Linoleum ausgelegte Küche.
Dort fiel ihr als Erstes die blaue Vase mit den zwei Dutzend roten Rosen ins Auge. Ihr Duft verbreitete sich im stickigen Raum. Nette Geste, dachte Lara.
Sie lechzte nach einer Tasse Tee, konnte jedoch weder Wasserkocher noch Kessel entdecken. Die Schränke waren, abgesehen von Anzeichen für Insektenaktivität, leer. Der uralte klobige Kühlschrank, der brummend und vibrierend in der Ecke stand, enthielt ebenfalls nichts außer einem dünnen Überzug aus Schimmel. Lara versuchte, den Emailleherd mit seinen sechs Kochplatten anzuwerfen, aber er schien über keinen funktionierenden Gasanschluss zu verfügen.
Neben der Küche, an der hinteren Hausseite, schmorte ein verglaster Wintergarten in der Morgensonne. Auch hier schien es keine Möglichkeit zum Lüften zu geben. Fliegenkadaver lagen auf den versiegelten Fensterrahmen, deren einstmals weißes Holz mit einem klebrigen Staubfilm bedeckt war. Lara blickte auf den leeren, mit Schlaglöchern übersäten Parkplatz hinter dem Haus und versuchte durchzuatmen, aber ihre Lunge fühlte sich pelzig an.
Trotz der Hitze im Raum drang ihr eine Kälte tief in die Knochen. Was hatte sie bloß angerichtet, als sie darauf bestanden hatte, dass sie Marcus begleiteten – an diesen Ort? Hatte sie drei Kinder auf eine Reise quer um die Welt geschleppt, um in einem Haus wie diesem zu landen? Sie versuchte, sich an die Vorfreude zu erinnern, die sie empfunden hatten, als Marcus die E-Mail von James bekommen hatte, der ihn beschwor, er müsse die Rolle unbedingt annehmen. Sie selbst war es gewesen, die James’ Vorschlag, Marcus solle doch gleich die ganze Familie mitbringen, aufgegriffen hatte. Sie hatte das nötige Geld aufgetrieben, den billigsten Flug herausgesucht, ihr Haus für den Sommer zwischenvermietet und den Mietwagen reserviert. Sie hatte in ihrem Job als Graphikdesignerin bei der Stadtverwaltung Überstunden gemacht und die ihr aufgrund der Freizeitausgleichs-Regelung zustehenden Urlaubstage mit ihrem gesamten Jahresurlaub kombiniert, damit sie sechs Wochen am Stück bei vollem Gehalt freinehmen konnte. Das war eine Grundvoraussetzung gewesen, denn abgesehen von der Unterkunft, zahlte das Theater Marcus pro Woche lediglich einhundert Dollar Gage und fünf Mittagessen im örtlichen Diner.
Sie kehrte in die Küche zurück, öffnete die Hintertür und ließ Luft herein, die von dem Nebel, der hinter dem Parkplatz über dem Gras hing, reingewaschen worden war. Wieder stach ihr der moschusartige Gummihandschuhgeruch vom vergangenen Abend in die Nase, obwohl der feuchte Morgen ihn etwas abmilderte. Sie stieß die Fliegengittertür auf, überquerte die kleine Veranda und setzte sich vorn an den Rand. Sie ließ die nackten Beine über die Kante baumeln, und ihre Knöchel streiften das taufeuchte Gras. Eine sanfte Brise strich ihr übers Gesicht, und sie atmete tief ein. Ihr Blick fiel
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