Havoc
plötzlich knurrend durch eine Hecke brach und ihm in großen Sprüngen hinterherhetzte. Seths Lunge brannte und seine Beine schmerzten wie noch nie in seinem Leben, aber er wusste, dass diese Bestie ihn in Stücke reißen würde, wenn er jetzt auch nur einen winzigen Moment lang Schwäche zeigte.
Mit letzter Kraft sprang er über den Zaun am Rande der Siedlung und schlitterte den dahinterliegenden Abhang hinunter. Er hörte Motorengeräusche, helles Licht blendete ihn, dann ertönte das Kreischen von Bremsen. Er war mitten auf der Fahrbahn vor einem herannahenden Auto gelandet.
Blitzschnell rollte er sich zur Seite, als die Bestie auch schon in riesigen Sätzen die Böschung herabgesprungen kam. Im Lichtkegel der Autoscheinwerfer erhaschte er einen Blick auf sie. Was er sah, war eine grotesk mutierte, löwenartige Raubkatze mit gebogenen Reißzähnen und gelb blitzenden Augen. Aus ihrem struppigen, vor Dreck starrenden Fell wuchsen verdrehte Hörner und Knochenplatten und über dem massigen Schädel trug sie eine mit Widerhaken und spitzen Stacheln besetzte eiserne Maske.
Aber schon in der nächsten Sekunde prallte das Auto mit voller Wucht gegen die Bestie und die Scheinwerfer erloschen schlagartig. Durch den Zusammenstoß wurde das Raubtier mehrere Meter weit weg an den Straßenrand geschleudert, wo es reglos liegen blieb.
Wieder zuckten Blitze über den Himmel und tauchten die Szenerie in gleißendes Licht. Seth sah einen dunkelhäutigen, ungefähr achtzehn Jahre alten Jungen am Steuer des Wagens sitzen, der vor Schreck wie versteinert war. Hinter ihm auf der Rückbank saß ein Mädchen im Halbschatten und starrte mit offenem Mund auf die Fahrbahn.
Die Bestie lag einen Moment lang ganz still, dann begann sie sich langsam wieder zu regen.
Seth zögerte keine Sekunde. Er rannte zum Wagen, riss die hintere Tür auf, ließ sich auf die Rückbank fallen und knallte die Tür zu. Als das Mädchen ihn erstaunt ansah, stellte er fest, dass er es aus der Schule kannte. Sie hieß Alicia Lane und war eine Klasse über ihm.
»Fahr los!«, brüllte er dem Jungen am Steuer zu.
Der drehte sich um. »Hey, wa s …?«
» Fahr schon! «
Der Junge stieg aufs Gaspedal. Der Wagen machte einen Satz und schoss schlingernd an der Bestie vorbei, die gerade wieder aufgesprungen war. Als sie an ihr vorbeirasten, erhellte ein weiterer Blitz den Himmel. Alicia drückte sich an die Fensterscheibe und blickte hinaus, bis das Tier nicht mehr zu sehen war. Dann wandte sie sich vom Fenster ab und sah Seth mit vor Schreck geweiteten Augen an. Er erwiderte ihren Blick stumm, ließ sich ins Polster zurücksinken und stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus.
Zur Narborough Road
1
»Verdammt, was war das für ein Tier?«, rief der Junge am Steuer, als er an der nächsten Abzweigung auf die Landstraße einbog, die von Hathern wegführte. »Ein Hund? Oh Mann, ich kann bloß hoffen, dass es kein Hund war!«
Der Regen prasselte so heftig auf die Windschutzscheibe, dass die Scheibenwischer die Wassermassen kaum bewältigen konnten. Die Straßenlaternen, an denen sie vorbeirasten, warfen schmutzig weiße Lichtschlieren in das Innere des Wagens.
»Das war kein Hund«, sagte Alicia ruhig.
»Was dann? Ein Reh? Das ging alles so schnell, dass ich es nicht richtig erkennen konnte! Es ist mir direkt vors Auto gelaufen!«
Alicia schwieg. Sie sah Seth stumm an, als erwartete sie, dass er ihnen eine Antwort gab. Aber er zuckte bloß hilflos mit den Schultern.
Er kannte Alicia nur vom Sehen, gesprochen hatten sie nie miteinander. Sie wohnte auch nicht in Hathern, sondern im Nachbardorf. Seth hatte von anderen aus der Schule gehört, dass sie eine Einserschülerin war, aber da sie auch hübsch war und sich cool anzog, hatte sie es geschafft, nicht im Außenseitergetto zu landen, wo die anderen Streber dahinvegetierten. Dafür, dass sie so gut in der Schule war, war sie sogar überraschend beliebt, was hauptsächlich daran lag, dass sie nie mit ihren guten Noten angab und nicht über andere lästerte.
Alicia war Halbjamaikanerin, ein Schopf dunkler Wuschellocken umrandete ihr milchkaffeebraunes Gesicht. Sie trug eine schicke Designerbrille, einen schwarzen Rollkragenpulli und Jeans, die sie in ihre Wildlederstiefel gesteckt hatte.
»Alles okay mit dir?«, fragte der Junge. »Bist du verletzt?«
»Nein, mir ist nichts passiert«, sagte Seth. Er nahm an, dass der Junge Alicias älterer Bruder Lemar war, der früher auch an ihrer Schule
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