Hawaii
ihr nicht besser, und der Anblick der kleinen Amanda, die auf ihren hochgetürmten Schachteln hin und her schwankte, machte sie noch kränker. Und als Abner nach Erledigung all seiner Pflichten zurückkehrte, fand er seine Frau noch blaß und erschöpft im Bett. »Es tut mir furchtbar leid, Pastor Hale«, seufzte sie, »aber ich muß den Gottesdienst heute morgen versäumen.«
»Auf keinen Fall«, protestierte er aufmunternd. »Ich werde Ihnen helfen.«
»Aber ich weiß bestimmt, daß ich nicht stehen kann«, protestierte sie. »Nun, Frau Hale...«Er stellte sie mit Gewalt auf ihre mageren Beine und fing sie wieder auf, als sie sich nicht im Gleichgewicht halten konnte. »Das Frühstück wird Sie stärken. Dann werden wir Gottesdienst halten. Sie werden die Sonne sehen und sich wieder ganz wohl fühlen.« Als sie versuchte, aus der kleinen, vollgestopften Kabine hinauszugelangen, fiel sie fast in Ohnmacht. Schwäche und Seekrankheit hatten aus ihr eine Todkranke gemacht. Aber wieder half ihr Abner auf und brachte sie durch den Segeltuchvorhang in den überfüllten, übelriechenden Gemeinschaftsraum, wo Keoki Kanakoa das Frühstück auftrug. Es gab kaltes Fleisch, Bohnengemüse und wäßrigen Reis, der von dem vorigen Abendessen übriggeblieben war. Jerusha schloß die Augen, als das fette Essen vor sie hingestellt wurde, und hielt sie geschlossen, als Abner einen der älteren Geistlichen bat, den Tag zu segnen. Dann betete Keoki auf hawaiisch, um die Missionare mit der Sprache vertraut zu machen, und das Mahl begann. Jerusha brachte einen Schluck heißen Tee und einen Bissen Fleisch hinunter. Aber das klebrige Fett daran widerte sie dermaßen an, daß sie aufstand, um die Tafelrunde zu verlassen, aber Abner hielt sie am Arm fest, und sie hörte ihn sagen: »Noch eine Minute länger, Frau Hale, und Sie haben die Schwäche überwunden.« So setzte sie sich in Todesqualen wieder hin, während das fette Fleischstück in ihren Magen gelangte und ihren ganzen Körper vergiftete. »Mir wird übel!« flüsterte sie. »Nein«, beharrte er. »Das ist unser erstes gemeinsames Mahl. Heute ist Sonntag.« Sie kämpfte ihre aufsteigende Krankheit nieder und versuchte über ihren Ekel vor dem Essensgeruch und vor dem Dunst der zwei Dutzend Menschen in dem kleinen Raum Herr zu werden.
Sie war sehr blaß, als die Mahlzeit vorüber war, und stolperte auf ihre Koje zu. Aber Abner ließ sie nicht gehen, sondern brachte sie mit dem starken Griff seiner Arme über die Stufen auf das sanft schwankende Deck, wo mit einer aufgehängten Segelplane eine notdürftige Kapelle angedeutet war. »Der erste Gottesdienst im Kreise unserer Familie«, verkündete er stolz. Aber die ganze Familie sollte nicht daran teilnehmen. Einer der älteren Missionare blickte nur einmal über das schwankende Deck, eilte an die Re ling und gab sein Frühstück wieder von sich. Dann stolperte er bleich und nach Atem ringend hinab zu seiner Koje. Abner starrte ihm nach und hielt die unfreiwilligen Handlungen des armen Mannes für eine persönliche Beleidigung Gottes. Aber ihn ärgerten vor allem einige Matrosen, die in der
Takelage hingen und herzhaft über den verstörten Geistlichen lachten, der erbrochen hatte.
»Er wird nicht der letzte sein«, prophezeite einer der Matrosen, und seine Kameraden johlten.
Abner hielt den Gottesdienst. Er war der einzige, von dem erwartet werden konnte, daß er die Gebete bis zum Ende durchhalten würde. Die Familie saß bequem unter der Segelplane, die von dem Hauptmast ausgespannt war, und sang, so fröhlich es die Umstände erlaubten, den schönen alten Sonntagschoral Neu-Englands:
»Wieder ist ein Wochenwerk vollbracht, Wieder beginnt ein Sabbat; Komm, meine Seele, genieße die Ruh - Nutze den Tag, den Gott gesegnet hat.«
Dann sprach Abner über einige Stellen aus dem Epheser-Brief, Kapitel 1,3: »Derhalben beuge ich meine Knie vor dem Vater, der der rechte Vater ist über alles, was da Kinder heißt im Himmel und auf Erden,... daß Christus wohne durch den Glauben in euren Herzen und ihr in der Liebe eingewurzelt und gegründet werdet.« Er zeigte, daß die Familie der Liebe, in der sie lebten, all denen offenstand, die willens waren, ihre Sünden zu bekennen und sich auf den Stand der Gnade vorzubereiten. Offensichtlich predigte er zwei Zuhörerschaften: seinen
Missionarsbrüdern, um sie an die Familie zu erinnern, in der sie arbeiteten, und den herumlungernden Matrosen, um ihnen Mut zu machen, sich dieser
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