Hawkings neues Universum
einsehbar – ein paar Bagger und Lastwagen zu schaffen machen. Was unspektakulär und beinahe träge erscheint, ist Weltgeschichte geworden: Ground Zero. Hier standen bis zum 11. September 2001 die beiden höchsten Wolkenkratzer von New York, das World Trade Center. Das erst 2006 fertig gestellte Hochhaus nebenan, das mit seiner Fassade aus Glas und Metall im Sonnenlicht so hell aufblitzt wie die einstigen Doppeltürme, hat die Hausnummer „7 World Trade Center“ und ist neuerdings Sitz der weltbekannten New York Academy of Sciences (NYAS). Dort eröffnete Brian Greene von der Columbia University im Oktober 2007 eine internationale Konferenz zum „Arrow of Time“ mit den Worten: „olleh dna emoclew“. Damit hatte der mit seinem im Jahr 2000 erschienenen Bestseller Das elegante Universum auch im deutschsprachigen Raum bekannt gewordene Physiker den Zeitpfeil scherzhaft für eine Sekunde umgedreht, „welcome and hello!“
Greene spielte auf eine Selbstverständlichkeit im täglichen Leben an, die für Physiker und Philosophen doch eines der größten Welträtsel überhaupt ist: Die Richtung der Zeit. Dass diese Irreversibilität nicht trivial ist, sondern immer wieder äußerst tragisch, verdeutlicht besonders die Tatsache des Todes. Das drängt sich auch ins Bewusstsein, wenn man aus dem fensterlosen Vortragssaal der NYAS in den verglasten Flur tritt und auf Ground Zero hinabschaut: Die schlanken Türme des World Trade Centers werden sich nie mehr aus den Trümmern aufrichten, in die sie nach dem Terroristen-Angriff zusammengestürzt sind.
Im Unterschied zu den widerstreitenden Weltbildern der Ideologien in Politik und Religion, die oft zu verheerenden Zusammenstößen führen – von Mord und terroristischen Attacken bis zum Krieg mit Massenvernichtungsmitteln und deren Pseudorechtfertigung im Namen vermeintlich höherer Werte – sind die Auseinandersetzungen in der Wissenschaft stets friedlich. Denn so hartnäckig die Überzeugungen vielleicht auch sind und so hart die Meinungen zuweilen aufeinander prallen, zum Wesen der Wissenschaft gehört doch die Suche nach der Wahrheit und zugleich das Wissen, dass sich diese allenfalls näherungsweise erkennen lässt. Jede wissenschaftliche Erkenntnis ist fehlbar, denn: „Es irrt der Mensch, so lang er strebt“, wie es Johann Wolfgang Goethe in seinem Faust -Drama ausgedrückt hat. Wer aber weiß, dass niemand im Besitz der absoluten Wahrheit sein kann, auch er selbst nicht, und dass dies erst recht für Werte gilt, wird damit und dafür auch keine Gewalt rechtfertigen oder begehen.
Entsprechend laufen wissenschaftliche Auseinandersetzungen zuweilen verbittert ab, im besseren, souveräneren und weisen Fall dagegen mit selbstkritischer und ironischer Gelassenheit. So auch am ersten Abend der NYAS-Konferenz, als sich einige Kontrahenten zu einer Podiumsdiskussion versammelten. Lachend zückte der Moderator, Andreas Albrecht von der University of California in Davis, ein Plastikschwert, um symbolisch die Kontrolle zu behalten. Und er setzte Max Tegmark, in Anspielung auf dessen schwedische Herkunft, einen Wikingerhelm auf den Kopf. Den konnte der burschikose und nicht minder dickköpfige Kosmologe vom Massachusetts Institute of Technology gut gebrauchen. Seine Augen funkelten angriffslustig unter dem viel zu großen Plastikhelm hervor, aber wenigstens in einem Punkt waren sich alle auf dem Podium mit ihm einig: „Das Problem ist trotz seines Alters nicht alt und müde. Es ist quicklebendig und stimuliert die Forschung.“
Lee Smolin vom Perimeter Institute im kanadischen Waterloo, bekannt für seine extravaganten Ansichten und originellen Ideen, schnappte sich Tegmarks Wikingerhelm, bevor er für die eigenen Thesen stritt. Mit seiner Kritik legte er die Axt an die Wurzeln des von Isaac Newton begründeten Schemas physikalischer Erklärungen. Diese beruhen klassischerweise auf variierenden Anfangs- oder Randbedingungen einerseits und von ihnen strikt geschiedenen ewigen Naturgesetzen andererseits. Doch in der Kosmologie wird diese Unterscheidung problematisch. „Wir müssen über eine neue Art von Gesetzen nachdenken – sich entwickelnde Gesetze“, versuchte Smolin seine Zuhörer zu überzeugen. Schon früher hatte er darüber spekuliert, dass aus Schwarzen Löchern gleichsam neue Universen sprießen und sich dabei die Naturkonstanten geringfügig ändern können, so dass eine Art kosmischer Darwinismus stattfindet, bei dem Universen mit mehr Schwarzen Löchern
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